Windbruch
Sieverts. Ihr Name ist ja in der Fachwelt nicht ganz unbekannt. Umso mehr
wundere ich mich, dass wir uns hier im beschaulichen Ostfriesland treffen. Wenn
ich mich richtig erinnere, haben Sie ihren Firmensitz in New York. Und da ich
annehme, dass Sie nicht nur wegen uns hier in Emden sind, darf ich fragen, was
Sie in diesen hinteren Winkel der Welt treibt?“ Seine letzten Worte hatte er
mit einer Geste seiner Arme unterstrichen, die zu sagen schien, dass er sich
wirklich nicht vorstellen konnte, warum sich jemand freiwillig hier aufhielt.
Maarten ärgerte diese Überheblichkeit, er ließ sich aber nichts anmerken. Bei
solchen Typen kam man letztlich nur mit einem Pokerface weiter.
„Meine Eltern und Geschwister
leben hier.“
„Ach.“ Hans-Jürgen Naumann schien
wirklich überrascht zu sein. „Dann sind sie also gebürtiger Ostfriese.“ Es war
mehr eine Feststellung als eine Frage, und Maarten war sich sicher, dass er
zwischen den Zeilen ein unausgesprochenes Sie Armer, wie konnte denn das
passieren? herausgehört hatte. Angesichts von so viel Arroganz näherte sich
seine Stimmung mehr und mehr dem Tiefpunkt, und so langsam kostete es ihn doch
Anstrengung, freundlich zu bleiben.
Sie waren inzwischen bei einem
der Fahrstühle angelangt und fuhren in die oberste Etage hoch. Naumann
geleitete ihn in ein Büro von dem man, so stellte Maarten sogleich fest, eine
fantastische Aussicht über den Rysumer Nacken und weit über die Ems bis in die
benachbarten Niederlande hatte. Das Büro war riesig, die Einrichtung protzig.
In zahlreichen Glasvitrinen waren die Errungenschaften ausgestellt, die anscheinend
auf Geschäftsreisen in alle Welt eingesammelt worden waren. Naumann bedeutete
Maarten, sich zu setzen, und so nahm er in einem ausladenden Sessel im
Kolonialstil Platz. Naumann ging zu seinem Schreibtisch, drückte eine Taste am
Telefon und sagte: „Annemarie, Kaffee.“ Maarten konnte sich ein Grinsen nicht
verkneifen. Wenn er Franziska gegenüber solch einen Tonfall angeschlagen und
darüber hinaus nicht mal bitte gesagt hätte, hätte er bis zum Sankt
Nimmerleinstag auf sein Heißgetränk warten können. Franziska hätte ihn einfach
ignoriert – mal ganz abgesehen davon, dass er sich seinen Kaffee ja sowieso
selber machte.
Annemarie aber schien Franziskas
Auffassung nicht zu teilen, denn es dauerte nicht lange, bis sie mit einer
Kanne Kaffee, zwei Tassen und einer Schüssel Gebäck hereinkam. Sie war
anscheinend darauf konditioniert, mit den männlichen Gästen des Chefs zu
flirten, denn kaum, dass sie sich Maarten näherte, warf sie ihm auch schon
einen schmachtenden Blick zu und platzierte ein perfekt einstudiertes Lächeln.
Maarten tat ihr den Gefallen und lächelte verschmitzt zurück. Und auch, als sie
ihm beim Einschenken des Kaffees einen tiefen Einblick in ihr üppiges Dekolleté
gewährte, nickte er ihr anerkennend zu. Er kannte das Spiel, das in den oberen
Konzernetagen gespielt wurde, und er spielte es mit. Zumindest so lange, bis er
erreicht hatte, was er wollte. Und hier stand er ja schließlich erst am Anfang.
„Nun, Herr Dr. Sieverts, dann
sagen Sie mir doch mal, womit ich Ihnen behilflich sein kann“, begann Naumann
das Gespräch, nachdem sich Annemarie wieder in ihr Vorzimmer zurückgezogen
hatte.
„Nun, ich war schon seit ein paar
Jahren nicht mehr in Ostfriesland und habe mich in den letzten Tagen mal ein
wenig umgeschaut, was sich hier so verändert hat. Beim Blättern in der
Ostfriesenzeitung blieb ich dann an einem Artikel über Ihr Unternehmen hängen.
Es klang interessant und ich habe mich direkt auf Ihrer Homepage informiert,
was hier alles so passiert. Und ich muss wirklich sagen, ich war tief beeindruckt.“
Hier machte Maarten eine Pause und nahm einen Schluck Kaffee, um Naumann, der
sich bei seinen Worten fast unmerklich in seinem Sessel aufgerichtet hatte, die
Gelegenheit zu geben, etwas zu erwidern.
„Ja, nicht wahr“, sagte der mit
stolzgeschwellter Brust, „ich denke, ich kann ohne Umschweife sagen, dass wir
hier etwas ganz Großes aufgebaut haben.“ Und so, wie er es sagte, klang es, als
habe er eigentlich ich statt wir sagen wollen.
Maarten nickte. „Wie Sie wissen,
bin ja auch ich im Bereich der Aerodynamik tätig, wenn auch eher bei
Flugzeugen, als bei Windkraftanlagen. Aber ich denke, wir sind uns einig, wenn
ich sage, dass das eine nicht allzu weit vom anderen entfernt ist.“
„Sicher, sicher“, winkte Naumann
ab, „gar keine Frage.“
„Nun, und da ich
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