Windbruch
vergiftet?“
Sonja zuckte mit den Schultern.
„Er meint, er wüsste zu viel.“
„Was weiß er zuviel?“
„Ich habe keine Ahnung. Ich sag
ja, ich weiß auch nicht, was diese Andeutungen sollen. Er hat auch nie
Genaueres dazu gesagt.“
Maarten sah sie prüfend an. Die
arme Frau musste in der letzten Zeit viel durchgemacht haben. „Und warum soll
ich mir die Unterlagen angucken?“
„Er meint, sie wären vielleicht
interessant für dich, weil du ja wohl auch Ingenieur bist. Er hat schon vor
einiger Zeit recherchiert, was deine Firma so macht. Maarten macht alles
richtig , sagte er mal. Keine Ahnung, was er damit gemeint hat.“
„Gut“, nickte Maarten und legte
die Mappe zurück auf den Tisch. „Ich sehe mir die Sachen mal an. Bestimmt hat
er einfach nur Lust, mit mir ein wenig zu fachsimpeln.“
„Kann sein“, erwiderte Sonja,
aber es klang nicht überzeugt.
„Warst du heute schon bei ihm?“,
fragte Maarten vorsichtig. Ob sie schon wusste, wie schlecht es ihrem Mann
heute ging?
„Ja. Ich komme gerade von ihm.
Sie ...“. Sonja schluckte, und wieder ging ein Zittern durch ihren schmalen
Körper. „Sie haben ihn auf die Intensivstation verlegt.“
„Ja, das hatten sie vor.“ Maarten
sah, dass Sonja mit den Tränen kämpfte und legte seine Hand auf ihre. Sie war
eiskalt. „Es tut mir sehr leid, Sonja. Wenn ich irgendwas für euch tun kann,
lass es mich bitte wissen.“
„Hauke sagt, du bleibst nicht
lange?“
„Ich ... ich habe keine Ahnung.
Ich denke, dass ich schon noch länger hier bin“, sagte er und war im nächsten
Moment selbst überrascht. Das stand doch noch gar nicht fest! „Ich habe gehört,
ihr habt zwei Söhne?“, wechselte er schnell das Thema.
Zum ersten Mal, seit sie hier
saß, trat ein Leuchten in Sonjas Augen. „Ja, Nicolas und Tilman. Sie sind Haukes
ganzer Stolz.“
„Und deiner auch“, lächelte
Maarten.
„Ja, meiner auch“, lächelte sie
zurück und deutete dann auf die gelbe Mappe. „Ich danke dir, dass du das für
Hauke tust, Maarten.“
„Ich wünschte, ich könnte noch
viel mehr tun“, gab er leise zurück.
11
Ein wenig Angst sich zu blamieren
hatte er ja schon. Maarten stand am Straßenrand und legte die Hand zur Abschattung
über die Augen. Es musste schon deutlich über zwanzig Jahre her sein, dass er
zum letzten Mal im beschaulichen Örtchen Canhusen gewesen war. Damals, da ging
er noch zur Grundschule, hatte er seinen Freund Micha auf einem
Kindergeburtstag kennen gelernt. Micha, der später an einer Lungenembolie
gestorben war, wohnte in Loppersum. Maarten war oft mit dem Fahrrad zu ihm
gefahren und dann weiter mit ihm nach Canhusen, das nur wenige Kilometer entfernt
war. Hier wiederum hatte Tomke gewohnt, Michas Kusine. Zunächst hatte Maarten
nicht verstehen können, warum sich Micha öfter mit Mädchen abgab, als er unbedingt
musste. Seine Schwestern nämlich, Wiebke und Swaantje, empfand der damals als
reine Zumutung und ging ihnen aus dem Weg, wo er nur konnte. Aber dann hatte er
ganz schnell verstanden, was Micha an Tomke so faszinierte. An ihr war ein
Junge verloren gegangen, das war klar. Was womöglich daran lag, dass sie mit
vier Brüdern aufwuchs. Jedenfalls war sie für jeden Unfug zu haben gewesen und
hatte sich bei Mutproben immer mehr getraut, als alle Jungen in ihrem Umfeld.
Maarten war immer ein wenig in sie verliebt gewesen, auch wenn er es nie zugegeben
hätte. Aber er hatte immer gedacht, dass er später, wenn überhaupt, nur eine
Frau wie Tomke heiraten würde. Und auf gar keinen Fall eine, die immer nur
Vater, Mutter, Kind mit ihren Puppen spielte, wie es seine Schwestern tagaus,
tagein taten.
Die Erinnerung an Tomke trieb
Maarten ein Lächeln aufs Gesicht. „Na, du scheinst dich ja mächtig zu freuen,
dass du heute mal mit uns kommen kannst“, sagte da eine dunkle Stimme in seine
Gedanken hinein. Maarten drehte sich um und sah in die Augen von Harry, dem Polizisten.
Der hatte ihn am Abend zuvor spontan angerufen und gefragt, ob er nicht Lust
habe, mal wieder mit zum Boßeln zu gehen. Er, Harry, habe sich an der
Einfallstraße nach Canhusen mit ein paar Freunden verabredet, einfach nur so,
aus Spaß.
Eigentlich hatte Maarten
vorgehabt, gleich am frühen Nachmittag zu Hauke ins Krankenhaus zu fahren, aber
da kam es auf zwei, drei Stunden ja nicht an. Das würde er dann eben gegen
Abend tun. „Ja, ist schon lange her, dass ich zum letzten Mal geboßelt habe.
Weiß gar nicht, ob ich das noch hinkriege.“
„Och,
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