Windbruch
Männer um ihn herum nickten
stumm.
„Ich ... ich habe ihm
versprochen, dass ich mir mal ein paar Broschüren über sein Unternehmen
anschaue, in dem er arbeitet. Ich glaube, das werde ich jetzt mal machen.“ Maarten
hatte das Gefühl, jetzt irgendwas für seinen Freund tun zu müssen, auch wenn es
nur das stupide Lesen dieser Broschüren war, die Sonja ihm in seinem Auftrag
vorbeigebracht hatte.
„Reine Zeitverschwendung“,
murmelte Kalle vor sich hin.
„Warum? Was ist reine
Zeitverschwendung?“, fragte Maarten und schaute den kleinen, kräftigen Mann
irritiert an.
„Ist doch sowieso alles gelogen,
was in diesen Broschüren steht. Glaub mir, Maarten, die Realität sieht ganz
anders aus.“ Zur Unterstreichung seiner Worte spuckte Kalle auf den Boden.
„Woher willst du das wissen?“
„Arbeite auch für die.“
„Du arbeitest für dieselbe Firma
wie Hauke?“
„Jawoll. Und eins kannst du mir
glauben, Maarten, das is kein Spaß. Oder hat Hauke was anderes gesacht?“
„N ... nein. Er hat sogar ... er
sagt ... na ja, ist ja auch egal.“ Maarten schwirrte plötzlich der Kopf.
„Komm mit uns inne Kneipe,
Maarten. Und dann erzähl’ ich dir mal, was das fürn mieser Laden is, für den
wir uns krumm machen. Hauke als leitender Ingenieur, ich als kleiner Arbeiter.
Und was da für charakterlose Schweine rumlaufen, das erzähl ich dir auch. Und
dann stoßen wir auf Hauke an. Weil, der hat es nich verdient, so behandelt zu
werden. Issn feiner Kerl, unser Hauke. Viel zu fein für die Arschgeigen, die da
das Sagen haben.“ Wieder spuckte Kalle aus, und Maarten sah tiefste Verachtung
in seinen Augen.
„O. k.“, sagte er, „da komm ich
mit.“
12
Richtig glücklich sah hier keiner
aus. Eher so, als hätten sie sich in ihr Schicksal ergeben. Natürlich, die Dame
am Empfang war ausgesprochen freundlich gewesen, fast zu freundlich für seinen
Geschmack. Und auch alle anderen grüßten höflich. Aber irgendetwas störte ihn,
auch wenn er nicht genau benennen konnte, was es war.
Maarten saß, eine Tasse Kaffee in
der Hand, in der gemütlichen Sitzgruppe im Foyer und schaute sich interessiert
um. Das lichtdurchflutete, rundum verglaste Firmengebäude war nach den neuesten
und modernsten Standards erbaut, das sah man gleich. Das großzügige Foyer wurde
von einer riesigen Glaskuppel überdacht, die sich, so hatte es Maarten mit seinen
geschulten Augen gleich bemerkt, bei schönem Wetter öffnen ließ. Gerne hätte er
gesehen, wie das funktionierte, aber leider goss es an diesem Tag immer mal
wieder in Strömen. Es bot sich also an, auf diese Funktion lieber zu
verzichten. Fasziniert verfolgte Maarten für eine Weile das Spiel von Licht und
Schatten, das sich durch den ständigen Wechsel von Sonne und Wolken über der
Glaskuppel ergab und sich im Foyer auf beeindruckende Weise fortsetzte. Hier
musste ein Architekt am Werk gewesen sein, der sein Handwerk verstand. Ein
wahrer Meister seines Faches.
Rund um das Foyer herum verliefen
in vier Stockwerken die Büroetagen, die man über verglaste Aufzüge erreichte.
Jede der Etagen war über einen breiten Gang erschlossen, von dem man in die
einzelnen Büroräume kam und der zum Foyer hin mit einer eleganten, verchromten
Brüstung abschloss.
„Herr Dr. Sieverts?“, hörte
Maarten in seine Gedanken hinein jemanden sagen. Er schaute auf und sah in ein
breit lächelndes Gesicht. Smart, war der Begriff, der ihm zu seinem Gegenüber
als Erstes einfiel. Nadelstreifenanzug, dezent gemusterte Krawatte, teure
italienische Schuhe. Der etwa fünfzigjährige Mann hatte seine mittelblonden
Haare nach hinten gegelt, die Fingernägel waren manikürt. Das einzige, was
nicht zu seinem allzu glatten Auftreten zu passen schien, war sein eher
ungepflegter Bart. Der Blick, den er Maarten aus seinen schmalen Augen zuwarf,
empfand Maarten als unangenehm. Denn das breite Lächeln des Mundes war nicht
bis zu den Augen vorgedrungen, was Maarten sofort misstrauisch werden ließ. Er
hatte in seinem Leben schon mit vielen Managertypen zu tun gehabt. Und dieser
gehörte ganz klar zu dem Typus, bei dem äußerste Vorsicht geboten war. Aber na
ja, auch damit konnte Maarten umgehen, da hatte er keinerlei Zweifel.
Er stand auf und reichte dem Mann
die Hand. „Ja, ich bin Maarten Sieverts. Und Sie müssen Herr Naumann sein.“ Der
feste Händedruck seines Gegenübers zeugte von Tatkraft. „Ja, Hans-Jürgen
Naumann. Ich freue mich sehr, dass Sie ihren Weg zu uns gefunden haben, Herr
Dr.
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