Windbruch
ein Lied singen, das können Sie mir glauben.“
Sie gingen weiter die Gänge
zwischen den imposanten Produktionsanlagen entlang, doch Maarten hörte kaum
noch zu. Er kochte vor Wut. Gerade, als er beschlossen hatte, sich wegen
Termindrucks zu verabschieden, kam plötzlich ein Gabelstapler um eine
unübersichtliche Ecke geschossen. Er hätte Maarten womöglich aufgespießt, wenn
ihn nicht jemand geistesgegenwärtig zur Seite gerissen hätte. Während Maarten
noch taumelte und versuchte, sich klar zu machen, was soeben passiert war,
brach neben ihm ein wahres Donnerwetter los. Naumann hatte den Gabelstaplerfahrer
gezwungen anzuhalten und brüllte nun lautstark auf ihn ein. Immer wieder fielen
die Worte Vollidiot , hirnamputiert und Kündigung . Mit dem
Hinweis, er solle sich in fünf Minuten auf der Chefetage im Büro einfinden,
wurde der Unglücksfahrer schließlich seines Weges geschickt und lief wie ein
geprügelter Hund mit hängendem Kopf davon.
„Entschuldigen Sie bitte
vielmals, Herr Dr. Sieverts, ich bin untröstlich. X-mal habe ich diesen Idioten
von Gabelstaplerfahrern gesagt, sie dürfen hier nur im Schritttempo durch die
Hallen fahren. Aber Sie wissen ja, wie das ist, wenn man darauf angewiesen ist,
lauter Hohlköpfe zu beschäftigen.“ Naumanns Kopf war hochrot angelaufen und er
sah aus, als würde er jeden Moment platzen. Geschäftig fuhr der Manager immer
wieder mit der Hand über Maartens Jackett, um es von vermeintlichen Dreckspuren
zu befreien - die allerdings gar nicht entstanden waren, schließlich war Maarten
ja weder gestürzt, noch hatte er sich irgendwo gestoßen. Entnervt schob Maarten
Naumanns Hand weg. „Ist ja nichts passiert“, murmelte er. Der
Gabelstaplerfahrer tat ihm leid. Sicher, er hätte besser aufpassen müssen. Aber
das war noch lange kein Grund, ihn hier vor der versammelten Mannschaft
niederzubrüllen wie einen dummen Schuljungen.
„Wenn Sie erlauben, werde ich
mich jetzt verabschieden und mich um diesen unsäglichen Fall von menschlichem
Versagen - man könnte auch sagen menschlichem Versager, haha - kümmern. Sie entschuldigen
mich bitte, Herr Dr. Sieverts, ich hoffe, wir sehen uns sehr bald wieder. Es hat
mich außerordentlich gefreut, Sie kennen zu lernen. Doch bevor ich gehe, darf
ich Sie noch mit meiner Mitarbeiterin bekanntmachen.“ Er deutete auf eine Frau
hinter Maarten, die dieser bisher noch gar nicht wahrgenommen hatte. „Das ist
Frau Coordes, sie arbeitet hier als Ingenieurin und wird Sie sicherlich gerne
weiter durch den Betrieb führen.“ Augenzwinkernd fügte er hinzu: „Nachdem Sie
Ihnen ja gerade mit heldenhaftem Einsatz das Leben gerettet hat.“ Mit einem
letzten Kopfnicken drehte sich Naumann um und verschwand um die Ecke.
„Guten Tag, Frau Coordes.“
Maarten reichte der jungen Frau in weißem Kittel, die sich nun neben ihn
gestellt hatte und ihn freundlich anlächelte, die Hand. „Ach ja, und danke,
dass Sie mir das Leben gerettet haben“, fügte er verschmitzt lächelnd hinzu.
„Ich werde mich bei Gelegenheit revanchieren.“
„Kein Ursache“, lächelte sie und
schlug ihm, statt ihm ebenfalls die Hand zu reichen, auf die Schulter. „Moin,
Maarten. Freut mich sehr, dich nach so langer Zeit mal wieder zu sehen. Hatte
mir unser Wiedersehen allerdings immer weniger spektakulär vorgestellt.“
„Kennen wir uns?“, fragte Maarten
und kam sich so langsam dumm vor. Jeder schien ihn sofort zu erkennen, nur er
stand immer auf dem Schlauch.
Die junge Frau lachte laut auf.
Und als Maarten dieses herzliche Lachen hörte, sah er plötzlich ein kleines
Mädchen mit streichholzkurz geschorenen Haaren vor sich, das ihm eine lange
Nase machte, weil sie sich getraut hatte, von der höchsten Stelle des Heubodens
in die Tiefe zu springen und er sich nicht. „Tomke?“, fragte er perplex.
Statt zu antworten nahm Tomke ihn
in den Arm und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. „Ach, Maarten, ich habe
oft an dich gedacht und mich gefragt, was du da hinten in Amerika eigentlich so
machst. Und nun fällst du mir hier einfach in die Arme.“ Sie wich zurück und
hielt ihn mit gestreckten Armen von sich. „Lass uns zur Feier des Tages eine
schöne Tasse Tee trinken, o. k.?“
„Dein Chef sprach von einer
Betriebsführung“, flachste Maarten und grinste breit.
„Ach papperlapapp“, winkte Tomke
ab und machte eine wegwerfende Handbewegung. „Wenn ich sage Tee, dann gibt es
Tee. Ich zieh mich schnell um. Wir treffen uns auf dem Parkplatz und du
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