Windbruch
Rücken, auch wieder einen Job gesucht. Er meinte wohl,
ich käme dann schon mit, wenn es soweit wäre, obwohl ich ihm mehrfach
unmissverständlich gesagt hatte, dass ich Ostfriesland nie wieder verlassen
würde. War ja schon zum Studium in Hamburg gewesen. Aber nee, das ist nichts
für mich. Ich gehöre nach Ostfriesland, und das ist auch gut so.“ Sie unterstrich
ihre Worte mit einer ausladenden Bewegung ihrer Arme, die wohl ganz Ostfriesland
mit einbeziehen sollte. „Und du, Maarten, was macht dein Privatleben?“
„Welches Privatleben?“, fragte er
zurück.
„Na, was nicht ist, kann ja noch
werden“, sagte sie lachend. „Wäre ja auch ein schändlicher Verlust für die
Frauenwelt, wenn du dich einfach dauerhaft aus der Affäre ziehen würdest. Na
ja, wer weiß“, fügte sie schelmisch lächelnd hinzu und hob dabei ihren
Zeigefinger, „vielleicht kommst du ja bei Wiebkes Hochzeit auf den Geschmack.“
Maarten wollte diese Möglichkeit
gerade empört von sich weisen, als Tomkes Handy klingelte. „Oh je, bestimmt
mein Chef“, flachste sie. „Ja, bitte“, meldete sie sich, „wer stört?“ Doch
schon im nächsten Moment wich ihr alle Farbe aus dem Gesicht. Nachdem sie noch
kurz gelauscht hatte, legte sie wie in Zeitlupe das Handy auf den Tisch und sah
Maarten erschüttert an.
„Was ist denn los?“, fragte er
leise und legte ihr eine Hand auf die Schulter.
Sie schlug die Hände vors Gesicht
und fing an zu weinen.
„Hauke ist tot“, presste sie
schluchzend hervor.
15
Langsam bewegte sich der
Trauerzug um die große Kirche herum. Kaum ein Laut war zu hören, außer dem
Glockengeläut und dem Knirschen hunderter Schuhe auf dem schmalen Weg. Die
Anteilnahme am Tod Hauke Langhoffs war so groß, dass nicht mal alle Trauergäste
in der Kirche Platz gefunden hatten. Nur selten hatte Groß Midlum eine solch
große Beerdigung gesehen.
Nachdem die Kirche einmal
umrundet worden war, blieb die Trauergemeinde stehen. Ganz vorne am offenen
Grab, über dem der hellbraune und mit weißen Lilien geschmückte Sarg darauf
wartete, in die dunkle, kalte Erde hinabgesenkt zu werden, stand Sonja mit
ihren zwei kleinen Söhnen. Gleich hinter ihnen standen Haukes Eltern und
Geschwister mit ihren Familien. Maarten schluckte. Nur mit großer Mühe gelang
es ihm, die Tränen zurückzuhalten. Der Anblick der immer wieder verzweifelt aufschluchzenden
Sonja war kaum zu ertragen. Und auch die Gesichter von Haukes Eltern waren von
großer Trauer gezeichnet. Seine Mutter klammerte sich an ihren Mann, als könne
sie sich nicht alleine aufrecht halten. Sie hielt sich die geballte Faust vor
den Mund und biss immer wieder in die Knöchel ihrer Finger, aus denen schon das
Blut hervortrat. Haukes kleine Söhne, Nicolas und Tilman, schauten sich verunsichert
um. Sie schienen nicht zu verstehen, warum um sie herum so viele schwarz
gekleidete Menschen standen und warum sie alle so furchtbar traurig waren. Als
die Glocken aufhörten zu läuten und der Pastor gerade anfangen wollte zu
sprechen, zog der fast fünfjährige Nicolas am Ärmel seiner Mutter und fragte
laut in die nun fast gespenstige Stille hinein: „Du, Mama, kommt Papa nun bald
wieder? Er ist doch nun schon so lange weg.“ Daraufhin ging ein Raunen durch
die Menge, und an vielen Stellen waren laute Schluchzer zu hören. Haukes Bruder
strich Nicolas sanft über den Kopf, aber auch er brachte, vom Schluchzen geschüttelt,
keinen Laut hervor. Der kleine, dreijährige Tilman trat ein paar Schritte vor,
sah in das noch leere Grab hinab und schaute dann seine Mutter mit großen,
fragenden Augen an. Er deutete mit der Hand nach unten, aber schon im nächsten
Moment wurde er von Haukes Schwester auf den Arm genommen. Sie fing an, ihm
leicht über den Rücken zu streichen. Sofort legte er sein kleines Köpfchen in
ihre Schulterbeuge und fing an, an seinem Daumen zu lutschen. Dann fielen ihm
die Augen zu.
Die Erleichterung war spürbar,
als die Trauerfeier schließlich zu Ende war und sich die lange Schlange der
Trauergäste langsam am offenen Grab vorbei schob, damit jeder noch einen letzten
Blick auf den nun heruntergelassenen Sarg werfen und sich mit ein paar
gemurmelten Worten oder einem stummen Gruß ein allerletztes Mal von Hauke verabschieden
konnte. „Mach’s gut, Hauke, altes Haus“, flüsterte Maarten und senkte den Kopf
auf die Brust. „Ich werde immer für Sonja und deine Jungs da sein, das verspreche
ich dir.“ In diesem Moment trat Tomke zu ihm und hakte sich
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