Windbruch
sie erstaunt anblickte,
sagte sie lächelnd: „Hab mir schon gedacht, dass Sie sie noch mal brauchen.
Habe die wichtigen Stellen markiert.“
Kopfschüttelnd ging Maarten in
sein Büro. Franziska erstaunte ihn immer wieder. Manchmal fragte er sich schon,
wer von ihnen beiden eigentlich die größere Fachkompetenz besaß. Überzeugt
hingehen war er längst davon, dass sie über hellseherische Fähigkeiten
verfügte. Denn irgendwie schien sie schon immer im Voraus zu wissen, welchen
Wunsch er an sie herantragen würde.
Nachdem Maarten sich entschlossen
hatte, mit der N.S.OffshorePower Ltd. ein Joint-Venture einzugehen,
hatte seine junge Assistentin sich im Nullkommanichts in die Materie
eingearbeitet und ihn tatkräftig bei der Erstellung des Projektdesigns
unterstützt. Und selbst, als er das Konzept vor den Verantwortlichen seines
neuen Projektpartners präsentiert hatte, war sie ihm an der ein oder anderen
Stelle hilfreich zur Seite gesprungen.
Nach Haukes Beerdigung war ihm
schnell klar gewesen, dass er für längere Zeit in Ostfriesland bleiben würde.
Dabei ging es ihm gar nicht so sehr um die interessante berufliche Perspektive,
die sich ihm hier bot. Nein, in erster Linie wollte er herausfinden, warum
Hauke hatte sterben müssen. Denn je länger er über dessen qualvollen Tod
nachgedacht und je mehr Gespräche er mit der Familie und mit Freunden geführt
hatte, desto unwahrscheinlicher schien es ihm, dass Hauke eines natürlichen
Todes gestorben war. Er konnte diese Annahme, die er bisher noch niemandem
gegenüber geäußert hatte, nicht wirklich begründen. Nein, vielmehr war es ein
Bauchgefühl, das ihn trieb. Dem wollte und musste er nachgehen. Und das, so
viel war klar, ging nur hier in Ostfriesland.
Tage- und nächtelang hatte
Maarten darüber nachgegrübelt, wie er seine Assistentin Franziska davon
überzeugen konnte, von ihrer Wahlheimat New York nach Emden zu ziehen. Klar
war, er wollte auf sie bei diesem neuen Projekt nicht verzichten und sich
erneut auf jemand neues an seiner Seite einstellen. Aber wenn man sich dafür
entschieden hatte, in einer der schillerndsten und aufregendsten Metropolen der
Welt zu leben, was musste einem da eigentlich geboten werden, um seinen
Wohnsitz für unbestimmte Zeit ins beschauliche Ostfriesland zu verlegen?
Als alles Gegrübel zu keinem
Ergebnis führte, hatte sich Maarten eines Tages kurzerhand ins Flugzeug gesetzt
und einige Stunden später zur Überraschung seiner Mitarbeiter sein New Yorker
Büro betreten. „Wie war die Hochzeit?“, hatte Franziska als allererstes gefragt
und ihn forschend angesehen, als er mit einer müden Handbewegung abgewinkt und
erwidert hatte: „Es gab keine Hochzeit. Wegen falscher Stimmungslage.“ Tatsächlich
hatten Wiebke und Daniel ihre Hochzeit gleich nach Haukes Tod abgesagt, nach
feiern war weder ihnen noch irgendjemand anderem zumute gewesen. Sie hatten es
mit Fassung getragen. „Is nix, was wechläuft“, hatte Daniel achselzuckend
gesagt, und Wiebke hatte zustimmend genickt. Damit war die Sache erledigt
gewesen.
Franziska hatte ihrem Chef keine
weiteren Fragen gestellt, er würde ihr die Hintergründe schon erklären, wenn
ihm danach war. Und genauso geschah es. Er hatte sie am Abend zum Essen zu
ihrem Lieblingsitaliener eingeladen und ihr ausführlich geschildert, was
während seines Urlaubs geschehen war. Franziska hatte nicht viel erwidert,
während sie mit großem Appetit ihr Nudelgericht vertilgte und an ihrem Rotwein
nippte. Als er schließlich eine Redepause machte, war ihr erster Satz gewesen:
„Und nun wollen Sie für eine Weile in ihre Heimat gehen und mit diesen
Windfritzen ein gemeinsames Projekt machen.“ Das hatte er bis dahin noch mit
keinem Wort erwähnt, aber er wunderte sich bei Franziska ja über fast nichts
mehr; und deshalb hatte er nur kurz genickt und gesagt: „So ist es. Ich denke,
es ist eine interessante Geschichte und für uns eine große Chance, im
Windenergiegeschäft Fuß zu fassen.“ Was sie dann sagte, erstaunte ihn
allerdings auch Wochen später noch, denn auch davon hatte er bis dahin nichts
gesagt. „Aber eigentlich wollen Sie wissen, woran ihr Freund Hauke gestorben
ist.“
Als er an diesem Abend nach Hause
gekommen war, hätte er sich für seine Feigheit selbst prügeln können. Denn
natürlich hatte er sich nicht getraut zu fragen, ob sie mitkäme. Sie hatte
später am Abend noch so lebhaft von New York erzählt und gesagt, dass es schon
immer ihr Traum gewesen sei, hier zu
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