Windbruch
flüsterte
Sonja.
16
Es war furchtbar gewesen. All die
weinenden Leute. Und die kleinen Söhne von Langhoff, die gar nicht zu verstehen
schienen, was mit ihrem Vater geschehen war. Langhoff war ein guter Vater
gewesen, das wusste er genau. Immer wieder hatte er voller Stolz von seinen
Jungs erzählt. Und wie er sich immer gekümmert hatte um den Kleinen, der
gehörlos war. Von Pontius zu Pilatus war er gerannt, um nach einer Lösung zu
suchen. Ja, er hatte wirklich viel für den Kleinen getan. Es konnte keinen besseren
Vater geben auf der Welt.
Und nun war er tot. Einfach so,
hatten die Leute gesagt. Wo er doch immer so gesund gewesen war. Aber er
selbst, nein, er glaubte nicht an ein Einfach so . Denn er hatte alles
gesehen. Und er glaubte, war sich fast sicher, dass auch Langhoff alles gewusst
hatte. Und dass er deshalb hatte sterben müssen. Sterben, einfach so.
Er war nicht mehr mit zum
Teetrinken gegangen, das hätte er nicht ertragen. All diese Gesichter, so traurig,
so ratlos. Und da war dieser Sieverts gewesen, Dr. Maarten Sieverts. Er hatte
ihn gesehen, als er vor einigen Tagen in der Firma gewesen war. Er wolle mit
der N.S.OffshorePower Ltd. zusammenarbeiten, hatte es hinterher
geheißen. Nun, vermutlich hatte er keine Ahnung, was da wirklich lief. Sonst
hätte er es gelassen, denn, so hörte man, er war ein guter Mann, ein sehr guter
sogar. Und über sein Unternehmen in New York hörte man nur das Beste. Er hatte
ein wenig im Internet recherchiert, nachdem er ihn in der Firma gesehen hatte.
Nein, Sieverts war keiner von diesen Arbeitgebern ohne Gewissen. Er war einer,
der sich kümmerte. Immer.
Wie es hieß, war Sieverts früher
mit Langhoff befreundet gewesen. Und auch Tomke schien er gut zu kennen. Sehr
gut sogar, so wie sie sich gleich an ihn rangeschmissen hatte, kürzlich, in der
Produktionshalle. Tomke. Die Unnahbare. Sie hatte ihn kühl abserviert, damals,
als es in seiner Ehe kriselte und sie sich gerade von ihrem Mann getrennt
hatte. Es war ihm nicht gut gegangen und er hatte gedacht, sie könnten sich
vielleicht gegenseitig ein wenig trösten, sich näher kommen. Aber sie hatte ihn
nur herablassend von oben bis unten angeschaut, als er sie gefragt hatte, ob
sie mal gemeinsam ins Kino gehen sollten. Dann hatte sie sich wortlos umgedreht
und war gegangen. Bei Sieverts aber, da war sie ganz anders gewesen. Und dann
waren beide verschwunden, er hatte sie den ganzen Tag nicht mehr zu Gesicht bekommen.
Irgendwie hatten sich seine Frau
und er damals wieder zusammengerauft. Aber es war nicht mehr wie früher. Und
seit er diese Kapseln nahm, ohne die nichts mehr ging, da hatte sie sich fast
völlig von ihm abgewandt. Dabei hätte er sie doch so sehr gebraucht, jetzt, wo
es ihm immer schlechter ging! Nun ja, wenn seine Frau nicht wollte, würde er
einfach einen zweiten Versuch bei Tomke starten. Sie reizte ihn. Und hatte sie
ihm nicht erst vor ein paar Tagen freundlich zugelächelt, als sie sich in der
Kantine getroffen hatten? Natürlich war sie wieder mit diesem Sieverts zusammen
gewesen, so wie eigentlich fast jeden Mittag. Aber das hatte sicherlich nichts
zu bedeuten, schließlich kannten sie sich ja gut. Und wenn da mehr laufen würde
zwischen den beiden, dann hätte er es schon erfahren. Denn, wenn auf eines Verlass
war, dann auf den Flurfunk in seiner Firma.
Beim Gedanken an Sieverts musste
er lächeln. Ja, er war kompetent, er war nett, er kannte keine Allüren. Und er
war schwul. Da war er sich sicher. Sonst hätte er sich längst an Tomke
herangemacht. Nun, umso besser, dann war Sieverts definitiv keine Konkurrenz.
So würde er selbst sich weiter um Tomke bemühen und sein Instinkt sagte ihm,
dass er Erfolg haben würde. Noch zierte sie sich ein wenig. Aber nun, welche
Frau tat das nicht, wenn es ernst wurde?
Er beschloss, sich vor dem
Schlafengehen noch ein wenig im Internet umzusehen. Der Gedanke an Tomke hatte
ihn erregt. Seine Frau schlief schon, aber die ließ ihn ja sowieso nicht mehr
ran. Im Internet aber waren sie immer bereit. Und manche sahen Tomke sehr
ähnlich.
17
Zwei Monate später
„Franziska, könnten Sie mir bitte
mal die Akte zum Projekt Scottish Coast Energy heraussuchen. Ich müsste
da noch mal was nachschauen, bevor wir uns auf den Weg machen“, sagte Maarten,
während er an der neuen Kaffeemaschine herumfingerte, um sich einen frischen
Capuccino aufzubrühen.
„Klar“, erwiderte Franziska knapp
und schob ihm einen Aktenordner über den Schreibtisch. Als er
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