Windbruch
Hausecke
und warf einen Blick auf den Ems-Jade-Kanal, der trüb im Dämmerlicht lag und,
nach den heftigen Regenfällen der letzten Tage, bereits hoch Wasser führte.
Seine Oberfläche war von kleinen, unregelmäßigen Wellen aufgeraut, und immer
wieder kam es auf der Wasseroberfläche zu Verwirbelungen, wenn eine heftige
Windböe über sie hinwegfegte. Am gegenüberliegenden Ufer des Kanals sah er
einen Eimer, der in schnellem Tempo über einen schmalen Fußweg in Richtung
Uferböschung kullerte, die er dann auch prompt hinabstürzte. Nun trieb er
heftig schaukelnd den Kanal hinunter. Nachdem er dem Schauspiel für ein paar
Minuten zugesehen hatte, beschloss Maarten, ins Haus zurückzukehren. Er fühlte
sich deutlich erfrischt.
Die beiden Frauen waren
inzwischen auch mit ihrer Analyse der Pläne fertig geworden und standen, als
Maarten hereinkam, in der Küche. Gedankenverloren und mit ernsten Gesichtern
schlürften sie einen heißen Tee und knabberten dazu ein paar Müslikekse.
Maarten ging zum Küchenschrank, nahm sich eine Teetasse hinaus, tat einen
Kluntje hinein und setzte sich zu ihnen. „So, wie ihr ausseht, seit ihr zu
einem ähnlichen Ergebnis gekommen, wie ich“, sagte er gepresst, während er nach
der Kanne auf dem Stövchen griff und sich Tee einschenkte. Für einen Augenblick
war nur das leise Knistern des Kluntjes zu hören, der unter der Hitze des Tees
von feinen Rissen durchzogen wurde.
Tomke, die ihre dampfende
Teetasse mit beiden Händen vor dem Gesicht hielt und in kurzen Abständen hinein
blies, nickte schwach. „Ja, davon gehe ich aus. Und wenn das, was ich
befürchte, stimmt, dann haben wir ein ernsthaftes Problem.“
Franziska schaute mit ernstem
Gesicht von einem zum anderen und schob sich einen Müslikeks in den Mund. „Ich
wünsche mir nur selten, dass ich mich verrechnet habe. Ich möchte sogar fast
sagen, nie“, sagte sie schmatzend. „Aber, ganz ehrlich, diesmal wünsche ich mir
nichts sehnlicher, als dass meine Berechnungen falsch sind.“
Maarten spürte, wie sich auf
seinen Armen eine Gänsehaut bildete und ein Frösteln über seinen Körper lief.
Insgeheim hatte er gehofft, dass er etwas übersehen hatte. Aber, so wie es
jetzt aussah, musste man davon ausgehen, dass bei der Konstruktionsplanung der Windlady
II entweder einfach nur schlampig gearbeitet worden war, wovon er
allerdings nicht ausging. Oder aber hier war bewusst manipuliert worden. Das
würde auch zu dem passen, was Hauke bei der Polizei zu Protokoll gegeben hatte.
„Ich glaube, wir haben ein
Problem zu lösen“, sagte er.
24
Was hatte Hauke tatsächlich
gewusst? Und, was noch viel wichtiger war, hatte er seinen Verdacht jemandem
von der N.S.OffshorePower Ltd. gegenüber geäußert? Hatte er womöglich
sterben müssen, weil beim Bau der Windlady II etwas vertuscht werden
sollte?
Immer und immer wieder
zermarterte sich Maarten das Hirn, um auf diese Fragen eine Antwort zu finden.
Aber seine Gedanken drehten sich im Kreis. Klar war nur, dass bei der Planung
der Windkraftanlage an den Materialkosten gespart worden war. Und dieses Sparprogramm,
da waren sich Tomke, Franziska und er einig, würde zu Lasten der Sicherheit
gehen.
Am Mittag würde sich Maarten mit
Steffen Rautschek treffen, um zu erfahren, was genau der leitende Ingenieur der Windlady II wusste. War die Windkraftanlage tatsächlich mit gravierenden
Sicherheitsmängeln errichtet worden? Aber, soviel stand schon jetzt fest, auch
ihm musste aufgefallen sein, dass es bei diesem Großprojekt nicht mit richtigen
Dingen zuging. Schließlich war er selbst es gewesen, der Maarten praktisch
genötigt hatte, sich die Pläne mal genauer anzusehen. Maarten wusste, dass er,
wenn er der Sache nun auf den Grund ging, vermutlich ein Tretminenfeld betrat.
Denn sollte das, was er befürchtete, wahr sein, dann hatte man Hauke, der
zuviel wusste, bewusst aus dem Weg geräumt. Gut, Sonja hatte als Todesursache
von angeblichem Medikamentenmissbrauch gesprochen. Aber wer konnte schon
wissen, ob das tatsächlich der Wahrheit entsprach. Hatte es nicht schon immer
Fälle gegeben, in denen einfach eine Todesursache angegeben wurde, obwohl die
Ärzte sich ihrer Sache überhaupt nicht sicher waren? Bekanntlich war die Dunkelziffer
nicht entdeckter Morde sehr hoch, weil in vielen Fällen niemand auf die Idee
kam, mal nachzuschauen, ob zum Beispiel der vermeintlich eines natürlichen Todes
gestorbene Ehemann nicht vielleicht doch einem perfiden Giftmord der trauernden
Witwe zum
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