Windbruch
Schmollmund und stampfte mit dem Fuß auf. Dann fing er an zu weinen.
Maarten sah erst Nicolas, dann
Sonja ratlos an. „Tut mir leid, ich wusste ja nicht ...“
„Quatsch“, unterbrach ihn Sonja
und machte eine wegwerfende Handbewegung, „du hast es doch nur lieb gemeint.
Normalerweise ist Nicolas auch nicht so empfindlich, aber er ... er vermisst
seinen Vater sehr.“ Die letzten Worte hatte Sonja ganz leise gesprochen und
Maarten bemerkte, dass auch sie jetzt mit den Tränen kämpfte. „Vielleicht“,
fuhr sie dann fort und versuchte ein Lächeln, „vielleicht hast du ja Lust, den
Kindern einen Berliner zu kaufen. In der Neutorstraße gibt es eine kleine Ladentheke,
da werden die ganz frisch gemacht. Nicolas und Tilman essen sie für ihr Leben
gerne.“
„Au ja“, rief nun Nicolas und
sein Kummer war plötzlich wie weggewischt, „einen Berliner! Maarten, darf ich
einen mit Erdbeermarmelade?“
Maarten knuffte ihm in die Seite.
„Mit allem, was du willst, junger Mann. Und dein Bruder, isst der auch einen
mit Erdbeermarmelade?“
„Nee, Tilman mag lieber den mit
Apfelmus.“
„Na, dann soll er den auch haben.
Kommt, wir machen uns schnell auf den Weg, bevor die Oma anruft.“ Maarten hob
Tilman auf seine Schulter, worauf der kleine Mann vor Freude anfing zu strahlen
und juchzend die Arme hochwarf. Und ehe Maarten sich’s versah, nahm Nicolas
seine Hand und drückte sie fest. Und so stiefelten sie die Straße hinunter, und
jeder der sie sah, musste sie für eine glückliche kleine Familie halten. Bei
diesem Gedanken schluckte Maarten. Es fühlte sich plötzlich falsch an, dass er
hier mit Sonja und den Jungen durch Emden lief. Was hätte er in diesem Moment
dafür gegeben, Hauke wieder zu den Seinen zurückholen zu können!
Maarten hatte seine wahre Freude
daran, den Jungen beim Verschlingen ihrer Berliner zuzusehen. Laut schmatzend
standen sie vor ihm, die kleinen Gesichter wahlweise mit Erdbeermarmelade oder
mit Apfelmus verschmiert.
Als er vor dem kleinen Laden
angekommen waren, war ihm eingefallen, dass es diese Berliner bereits zu seiner
Schulzeit gegeben hatte, damals noch ein Stück weiter die Neutorstraße
hinunter. Und auch er hatte sich damals regelmäßig einen gegönnt. Sie
schmeckten einfach köstlich.
„Wie geht es euch“, fragte er
Sonja, als sie ihren Berliner aufgegessen hatte, „kommt ihr zurecht?“ Sein
schlechtes Gewissen meldete sich, denn er hatte das Gefühl, sich viel zu wenig
um die vaterlose Familie zu kümmern. Er hatte sich zwar immer wieder mal bei ihnen
gemeldet, aber nicht regelmäßig. Er nahm sich vor, sich zukünftig mehr Zeit für
sie zu nehmen.
Sie hob die Schultern. „Es ist
viel zu erledigen, lauter Papierkram und so. Aber Wiebke hilft mir viel, sie
ist immer da, wenn ich sie brauche.“
„Und finanziell? Kommt ihr über
die Runden?“ Maarten hatte gleich nach Haukes Beerdigung Konten für die Kinder
eingerichtet, auf die er monatlich einen bestimmten Betrag einzahlte. So war
wenigstens schon mal für die spätere Ausbildung vorgesorgt. Aber das half in der
momentanen Situation natürlich nicht wirklich weiter.
„Hauke hatte eine ganz gute
Lebensversicherung abgeschlossen, von der wir erstmal leben werden. So kann ich
auch erstmal die Raten fürs Haus bezahlen. Tja, und dann schreibe ich
Bewerbungen, ich möchte wieder als Grafikerin arbeiten. Mal sehen, was da
kommt.“
„Und die Kinder?“
„Sie sind ja schon in einem
integrativen Kindergarten untergebracht. Bisher halbtags, ab nächstem Monat
dann ganztags. Sie waren dort sehr entgegenkommend.“ In diesem Moment klingelte
Sonjas Handy. „Meine Mutter“, sagte sie, „wir müssen jetzt leider gehen.“
„Hat mich sehr gefreut, euch hier
zu treffen“, erwiderte Maarten lächelnd und nahm sie kurz in den Arm. „Macht’s
gut. Ich melde mich bald wieder bei euch.“ Dann strich er den Jungen über den
Kopf. „Sagt der Oma einen Gruß“, gab er ihnen mit auf den Weg.
Die beiden winkten, dann
verschwanden sie mit ihrer Mutter um die Ecke. Und auch Maarten machte sich
wieder auf den Weg. Er wollte pünktlich zu seiner Verabredung mit Steffen Rautschek
kommen.
25
„Was wollte Sieverts?“, fragte
Rhein seinen Vorstandskollegen Naumann, nachdem er gesehen hatte, wie Maarten
dessen Büro verließ.
„Er hat sich nach der Windlady
II erkundigt.“
Hayo Rhein kniff die Augen
zusammen, und sein ganzes Gesicht schien sich plötzlich zu einem einzigen
Faltenberg aufzutürmen. Er saß, die
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