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Windbruch

Windbruch

Titel: Windbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Bergsma
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langen Beine weit von sich gestreckt, zusammengesunken
in einem Ledersessel und sah aus, als habe er es sich gemütlich gemacht, um
sich im Fernsehen einen guten Film anzuschauen.
    Naumann stand aus seinem
Schreibtischstuhl auf und trat vors Fenster. Er konnte den Anblick seines
Kollegen Rhein nicht ertragen. Wie er da so lässig hing, seinen stechenden
Blick genau auf ihn, Naumann, gerichtet. Würde er sich solch eine Haltung nur
in seiner Gegenwart erlauben, hätte er darüber hinwegsehen können. Aber so war
es nicht. Ganz im Gegenteil saß Rhein immer so da, egal wie wichtig die Gäste
waren, die sich gerade zur Besprechung eingefunden hatten. Mit seiner
Körperhaltung vermittelte der Mittsechziger immer den Eindruck geballten
Desinteresses, ja, häufig sogar demonstrativer Langeweile. Dazu kam, dass er in
solchen Sitzungen häufig keinen Ton hervorbrachte, selbst dann nicht, wenn es
um komplizierte juristische Sachverhalte ging. Oder gerade dann, korrigierte
Naumann sich selbst. Und so hatte sich in ihm im Laufe der Zeit der Eindruck
breit gemacht, dass Rhein womöglich über keinerlei juristischen Sachverstand
verfügte. Schon häufiger war es vorgekommen, dass an seiner Stelle sich
plötzlich der junge Jurist des Unternehmens, der erst vor einem halben Jahr
sein zweites Staatsexamen absolviert hatte, mit einem Tatbestand befasste, den
er kurz zuvor mit der Bitte um Bearbeitung explizit auf Rheins Schreibtisch
hatte legen lassen. Auch waren Rhein schon derart heftige juristische
Fehleinschätzungen unterlaufen, dass es für das Unternehmen fatale Folgen hätte
haben können, wenn sich der junge Kollege der Sache nicht beherzt angenommen
und den Schaden gerade noch rechtzeitig repariert hätte.
    Schon einige Male hatte Naumann
beim obersten Management des Konzerns vorgefühlt, ob es nicht besser sei, Rhein
auf einen anderen, für die Firma weniger gefährlichen Posten zu versetzen. Aber
man hatte immer nur abgewinkt. Anscheinend gab es derzeit keinen lukrativen
Posten irgendwo im Aufsichtsrat, den man Rhein hätte anbieten können und den er
auch akzeptiert hätte. Dass Rhein im Management einflussreiche Kontakte hatte,
stand außer Frage. Denn Naumann hatte hochrangige Mitarbeiter schon aus viel geringeren
Gründen gehen sehen. Also mussten irgendwo da oben Menschen sitzen, die Rhein
trotz seiner offensichtlichen Unzulänglichkeiten protegierten – und deckten.
    Obwohl ein jeder in der Firma
wusste, dass auch Naumann nicht wegen seiner Kompetenz auf seinem Posten saß,
sondern weil er über einflussreiche Freunde in der Politik verfügte, sah
Naumann sich selbst ganz anders. Und das wiederum verband ihn mit Rhein. Wenn
es darum ging, sich selbst einzureden, über welch hohe fachliche Kompetenz man
verfügte, dann waren beide unschlagbar. Sollten bei Naumann manchmal auch nur
die geringsten Selbstzweifel diesbezüglich aufkommen, so gelang es ihm, sich
das Leben bis tief in die Nacht in einer Bar mit zweifelhaftem Ruf wieder schön
zu saufen und sich bereits am nächsten Morgen für den unangefochtenen Helden
der Nation zu halten.
    „Mich hat weniger irritiert, dass er gefragt, als das, was er gefragt hat“, sagte Naumann nun, ohne sich
wieder zu Rhein umzudrehen.
    „Und was hat er gefragt?“,
erwiderte Rhein in gelangweiltem Tonfall und betrachtete eingehend seine
Fingernägel, die er sich am Tag zuvor für teuer Geld hatte maniküren lassen.
Eigentlich war er für solch überflüssige Ausgaben nicht zu haben. Sein Ding war
es eher, Geld zu horten und zu vermehren, als welches auszugeben. Andere
nannten ihn deswegen geizig, wie zum Beispiel seine zwei Exfrauen. Er selber
nannte es sparsam. Nun hatte er aber bemerkt, dass die Frau, die er gedachte in
sein Bett zu kriegen, auf so Albernheiten wie gut manikürte Fingernägel stand.
Nun ja, was tat man nicht alles für einen schnellen sexuellen Kick.
    „Er fragte, wie es uns gelungen
sei, bei der Windlady II auf so signifikant geringere Baukosten zu
kommen als bei der Firstlady.“
    Rhein pfiff durch die Zähne.
„Alle Achtung, der Kerl ist auf Zack. Und was haben Sie ihm geantwortet?“
    „Dass er sich um seine eigenen
Projekte vor der schottischen Küste kümmern soll.“
    Rhein lachte kurz auf. „Gute
Antwort. Ich nehme aber an, dass er sich damit nicht zufrieden gegeben hat.“
    „Natürlich nicht. Aber von mir
hat er nicht mehr erfahren. Ich habe so getan, als hätte ich einen wichtigen
Termin und habe ihn an seinen Schreibtisch

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