Windbruch
Zunächst einmal aber wünschte er sich nichts sehnlicher als
eine heiße Dusche und sein warmes Federbett, in dem er sich die vergangenen
Nächte nur von einer Seite auf die andere geworfen und gegrübelt hatte. Heute
aber, da war er sich ganz sicher, würde es ihm gelingen, wenigstens für ein
paar Stunden Schlaf zu finden.
Draußen dämmerte es bereits, als
er die Augen wieder aufschlug. Was aber eigentlich kaum einen Unterschied
machte, war doch der ganze nebelverhangene Novembertag trist und kühl gewesen,
so dass scheinbar kein einziger Sonnenstrahl seinen Weg bis auf die Erde
gefunden hatte. Maarten schwang sich aus dem Bett, er fühlte sich herrlich
erfrischt. Er trat, nur mit Shorts und T-Shirt bekleidet, hinaus auf seine
Terrasse. Die feuchte Kälte schlug ihm wie ein nasser Lappen entgegen, und sein
ganzer Körper überzog sich umgehend mit einer dichten Gänsehaut. Er schauderte
und schlug die Arme vor seinem Körper zusammen. Dennoch blieb er für einige
Augenblicke stehen und sog tief die kalte Luft in seine Lungen, weil er zum
ersten Mal seit Tagen wieder das Gefühl hatte, frei atmen zu können.
Als wenig
später auch sein Nachbar auf die Terrasse trat, um eine Zigarette zu rauchen,
und ihn mit einem so kritischen Blick von oben bis unten musterte, als habe er
entweder einen Irren oder einen Sittenstrolch oder womöglich sogar beides in
einem vor sich, verkrümelte er sich mit einem knappen Moin schnell in
seine Küche. Während er sich einen Cappuccino aufbrühte, fiel sein Blick auf
den Stapel Post, den er beim Nachhausekommen aus dem Briefkasten gefischt und
auf den Küchentisch gelegt hatte. Ohne großes Interesse blätterte er ihn durch
und beförderte die Werbeprospekte umgehend in die eigens hierfür aufgestellte
Altpapierkiste. Dann fiel sein Blick auf einen Brief ohne Absender. Er riss ihn
auf und noch während er las, umwölkte sich seine Stirn und er spürte ein
eisiges Kribbeln seinen Rücken hinauflaufen. Es war ein mit dem Computer,
gänzlich in Kleinbuchstaben geschriebenes Gedicht, und als er es ein zweites
Mal las, nuschelte er es leise vor sich hin:
„wenn es dunkelt in der nacht,
gib auf dich und die deinen
acht,
verlässt du besser nicht das
haus,
denn
draußen geh’n die mörder aus.“
Langsam ließ Maarten das Blatt Papier
mit zittrigen Händen auf den Tisch sinken und nippte für eine Weile gedankenverloren
an seinem Cappuccino. An der Polizei führte nun kein Weg mehr vorbei. Die
Drohung war eindeutig. Nicht nur er, sondern auch die Seinen waren in Gefahr –
wen auch immer der vermeintliche Poet damit gemeint haben mochte. Er dachte an
seine Eltern, seine Schwestern, Tomke und Franziska. Wenn ihnen etwas zustoßen
würde, könnte er sich das nie verzeihen.
Mit einem tiefen Seufzer stand er
auf, faltete den Drohbrief zusammen und steckte ihn im Vorbeigehen an der
Garderobe in die Innentasche seiner Jacke. Nun, das weitere Vorgehen würde er
später am Abend mit Franziska besprechen. Jetzt aber würde er erst noch mal zu
Tomke ins Krankenhaus fahren und schauen, ob sie womöglich erneut aufgewacht
war.
42
Hauptkommissar David Büttner sah
ihn mit zusammengezogenen Brauen an und reichte ihm die Zigarettenschachtel.
Maarten winkte ab. „Nichtraucher“, murmelte er.
„Sehr vernünftig“, knurrte der
Polizist. „Nicht besonders vernünftig von Ihnen war allerdings, während der
Pressekonferenz mit allem herauszuplatzen, was Sie wussten“, sagte er dann.
„Sie hätten vorher mit uns reden sollen.“
Maarten schlug die Beine
übereinander und lehnte sich vor, so dass sich nun sein rechter Ellenbogen auf
dem Knie und sein Gesicht sich wiederum in der Hand abstützten. „Ja, im
Nachhinein war es nicht besonders schlau. Aber ich war an diesem Tag so
aufgebracht, so geschockt. Und ich machte mir Vorwürfe, hatte das Gefühl, nicht
genug unternommen zu haben, um dieses Unglück – wenn man es denn Unglück nennen
möchte – zu verhindern. Und außerdem“, fügte er noch hinzu, „konnte ich ja zu
diesem Zeitpunkt nicht ahnen, welche Ausmaße die Geschichte annehmen würde.“
„Das ist wohl war“, schnaufte der
Hauptkommissar, der soeben versuchte, einen schweren Karton auf einen kleinen
Tisch zu heben, der in seinem Büro an der Wand stand. „Ehrlich gesagt tappen
wir derzeit auch noch völlig im Dunkeln und versuchen, das Gewirr an
Informationen, das auf uns einprasselt, zu sortieren und in eine Logik zu
bringen. Aber wir stehen leider noch ganz am
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