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Windkämpfer

Windkämpfer

Titel: Windkämpfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Redick
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vor die Füße.
    »Wussten wir’s doch!«, riefen sie vergnügt. »Feltrup ist ein verlogener, gieriger Vielfraß!«
    Es war nur ein Löffel voll durchweichten Schiffszwiebacks (er war einem Teerjungen aus dem Mund gefallen, der so erschöpft war, dass er beim Kauen einschlief), aber die Schleicher stürzten sich darauf wie ausgehungerte Hunde und leckten mit ihren kurzen Zungen über das schmutzige Deck. Feltrup spannte sich und sprang – hopp! – einfach über ihre Köpfe hinweg. Wozu noch zurückschauen? Das Essen wäre in wenigen Sekunden verschwunden. Und Minuten später hätten sie ihn vergessen.
    (Meine Angst ist die Angst vor dem Vergessen. Wer ist Feltrup? Ratte, Monstrum, Ungeheuer, Mensch?)
    Jetzt litt er nicht nur, jetzt war er auch wütend. Mit dem Futter hatte er den Türhüter bestechen wollen. Wenn er den Tag doch noch im Schutz des Baus verbringen wollte, musste er sich neues Futter suchen, unter den Hängematten der Jungen oder bei den zerlumpten, unruhig schlafenden Passagieren im Zwischendeck. Andere Ratten stöberten an den gleichen Orten; es konnte Stunden dauern, bis er noch ein Krümelchen fand. Und zuvor hatte er noch etwas anderes zu erledigen.
    Da! Ein roter Lichtschein, klein wie ein Fingerhut, gerade so hell, dass Feltrup zwei geschäftige Hände und einen matten Bronzeschimmer sehen konnte. Feltrup vergaß alle Vorsicht und stürzte blindlings darauf zu. Das musste ein Kochherd der Ixchel sein. Menschen konnten die besondere Kohle nicht riechen, die in solchen Herden verbrannt wurde, aber weil die Ixchel selbst es konnten – und eine Schiffskatze oder ein Schiffshund dem Geruch bis an seinen Ursprung folgen würde –, kochte das kleine Volk seine Mahlzeiten auf dem offenen Deck weit abseits der Verstecke, in denen es hauste.
    Er war noch zehn Fuß entfernt, als das Licht erlosch. In seiner Panik machte er einen Riesensatz.
    »Vettern!«, quiekte er. »Verehrte Ixchel! Bitte geht nicht weg! Ich möchte mit euch reden!«
    Er gab sich so freundlich, so vernünftig, so wenig rattenhaft, wie er nur konnte. Aber niemand antwortete ihm. Das Licht war verschwunden und die Ixchel mit ihm.
    Tief enttäuscht huschte Feltrup nach backbord. Er hatte laut gesprochen, hatte sein Leben aufs Spiel gesetzt, und alles war vergebens! Nun brauchte er schleunigst Schutz, einen sicheren Ort! Keuchend rannte er weiter, bis er wenige Meter vor sich ein offenes Bilgenrohr entdeckte. Der schwere Messingdeckel war nicht verriegelt und stand sogar einen Zoll weit offen. Feltrup stürzte darauf zu und kletterte hinein.
    Zwei Fuß hinter der Öffnung war das Rohr mit einem Pfropfen verschlossen (es war ein Notabfluss, der lediglich dann zum Einsatz kam, wenn das Schiff sank). Als Versteck für einen ganzen Tag war es sicher nicht geeignet. Aber hier war es warm und behaglich, und keine Sniraga konnte sich auf ihn stürzen. Feltrup rollte sich zusammen und leckte sich die gerötete, schmerzende Schwanzspitze. Er brachte es nicht über sich, die Schleicher zu hassen; ebenso hätte er auch Kühe oder Steine hassen können. Sie waren eben anders als er. Aber wenn er nichts fände, was er hassen konnte, würde er zu weinen anfangen.
    (Meine Angst ist die Angst vor Rattentränen. Feltrup der Sonderling, der Weichling, die Ratte, die in einer Ecke hockt und flennt.)
    Wieder war eine Nacht, seine sechsundzwanzigste an Bord der Chathrand, erfolglos zu Ende gegangen. Wie lange konnte er sie wohl noch fortsetzen, die Suche nach dem kleinen Volk, das so offenkundig nicht den Wunsch hatte, ihn kennenzulernen?
    Warum setzte er dafür sein Leben aufs Spiel? Ein Drittel seines Schwanzes hatte er bereits am Kai von Etherhorde verloren, an eine Horde von Hafenratten, die den Zugang zu den auslaufenden Schiffen kontrollierte. Feltrup war schon acht Monate lang auf Schiffen gefahren (in der Hoffnung, einen Ort zu finden, wo das Leben gut, besser, nicht ganz so schlecht oder zumindest nicht grauenvoll wäre), und in jedem Hafen hatte er sich wieder einer Bande von fauchenden Hafenratten gegenübergesehen, diesen grausamen Torhütern der Meere. Diesmal hatten sie ihm versprochen, ihn sicher an Bord des Großen Schiffs zu bringen, aber mitten auf der Promenade plötzlich den Preis verdoppelt. Feltrup hatte die Flucht ergriffen, und die große Ratte und ihre Kumpane hatten ihn schnappend und beißend bis oben an die Rampe verfolgt. Wenn sein Schwanz durch den Staub schleifte, spürte er die Schmerzen noch immer.
    (Du darfst hier nicht

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