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Windkämpfer

Windkämpfer

Titel: Windkämpfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Redick
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gedeihen und dich aus diesem mörderisch kalten Wasser der Einsamkeit, diesem Wasserwirbel, diesem Strudel aus Gewalt und Not befreien. Liebe wirst du finden, trockenes Land, Augen, die dich nicht hassen, wenn sie dich in den Schatten entdecken.
    Wenn er nicht wahr ist – dann gibt es kein Du, das gerettet werden könnte, mein lieber Feltrup.
    Unter solchen Gedanken suchte sich die schwarze Ratte ihren Weg zwischen den nur schemenhaft erkennbaren Kisten mit Vorräten und Frachtgut, die auf dem Barmherzigkeitsdeck lagerten. Feltrup lief im Kreis herum: Nicht weil er sich verirrt hätte, sondern weil er mit seinen nachtsichtigen Augen verzweifelt die nahezu undurchdringliche Dunkelheit durchforschte. Was er suchte, war ein Licht, ein mattes, rotes Lichtlein.
    Dreimal hatte er es bereits erspäht und war in jäh aufflammender Hoffnung vorwärts gestürmt, nur um es spurlos wieder verschwinden zu sehen.
    Jeder solche Spurt war ein Spiel mit dem Tod. Normalerweise lief er keine zwei Meter, ohne den Kopf herumzureißen und einen Blick nach rechts oder links über die speckige Schulter zu werfen, überall Bewegungen; überall Luftströmungen, Erschütterungen und plötzliche unbekannte Geräusche. Am schlimmsten waren die Gerüche – süßlich, bedrängend, erstickend. Sie überschwemmten ihn mit Angst. Der Geruch nach Menschen war überall: in den fettigen Fingerspuren, die die Hafenarbeiter hinterlassen hatten, in dem Schweißfilm, wo sie sich mit dem Rücken gegen die Pfosten gelehnt hatten, im Speichel der Matrosen, in den Resten der Süßpinienkerne und in der ausgeatmeten Luft, die von den Schlafkojen nach unten sank.
    (Meine Angst ist die Angst des lebendig begrabenen Schläfers.)
    Die Menschen fürchtete er allerdings nicht – nicht zu dieser Stunde. Nach Mitternacht war das Barmherzigkeitsdeck anderen vorbehalten – den Ratten, den Ixchel, dem dunklen Wesen, das schnaufend herumschlich, einigen Mäusen, Schlangen und Spinnen und etlichen Millionen Flöhen. Die Menschen nannten es Pestdeck, Pissdeck oder Gasse der blinden Passagiere. Für seine Bewohner war es einfach das Nachtdorf.
    Selbst am Mittag arbeiteten die Menschen hier mit Lampen, denn das Barmherzigkeitsdeck lag zwanzig Fuß unter den Wellen. In tiefer Nacht sah man höchstens jede Stunde einmal einen Mann durch seine Tiefen stapfen, der im blendenden Schein der eigenen Lampe den Schiffsrumpf auf Lecks zu untersuchen hatte.
    Die größte Gefahr war Sniraga. Seit drei Nächten kam sie nun schon hierher, ein Todesengel, der zwischen den Kisten und Spalten auf die Jagd ging. Ihren Besuchen ging kein Lichtstrahl voraus, und sie bewegte sich lautlos, bis ein lautes Aufheulen das viel zu frühe Ende eines Lebens anzeigte und einem das Blut in den Adern gefrieren ließ. Dann suchte sich die rote Katze einen hochgelegenen Standort, einen Querbalken vielleicht, und verspeiste ihr Opfer genüsslich Stück für Stück. Wenn sich das Schiff zur Seite neigte, fielen die Gallenblasen und die Mägen auf das Deck – diese beiden Dinge fraß sie nämlich nicht.
    Doch für die schwarze Ratte gab es noch etwas Schlimmeres als Sniraga.
    (Meine Angst ist die Angst vor dem Ertrinken. Wenn die Oberfläche nicht mehr zu sehen ist, kann man auch nicht mehr auf sie zuschwimmen, man kann sich nicht nach einer Sonne orientieren, die weder Licht noch Wärme spendet, die verschwundene Sonne, die über dem Tang lacht, ist die Sonne der Menschen, des heiteren Tages, der erwachten Tiere und des Wunders der Tränen, aber sie ist nicht für deinesgleichen bestimmt, mein Lieber, niemals, außer wenn ihr aus Ecken und Ritzen oder schmutzigen Löchern kriecht, und auch dann nur so lange, wie ihr die Schnauze über den Wellen halten könnt. Oh du verrückter, abstoßend hässlicher Nager! Du Ratte meines Herzens! Du armer, hektisch umherhuschender, vor dich hin flüsternder, Abfälle fressender Feltrup, wann wird dich der Tang unter sich begraben?)
    Er war ein Monstrum – und er wusste es. Er war eine erwachte Ratte, und Ratten erwachten nicht. Sie schliefen auch nicht, jedenfalls nicht den warmen, dumpfen Schlaf gewöhnlicher Lebewesen. Anders als alle Geschöpfe, die er sonst kannte, waren sie Tag und Nacht zwischen Intelligenz und Instinkt gefangen. Sie führten ein kurzes, bissiges, zänkisches, elendes Dasein in ewiger Dämmerung. Am besten beschrieben sie die Ixchel mit dem Ausdruck Palluskudge – von den Göttern verfluchte Kreaturen.
    »Werde fett, Bruder!«
    Feltrup schoss zwei

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