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Windkämpfer

Windkämpfer

Titel: Windkämpfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Redick
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können. Aber er gebrauchte nur die bloße Hand, und Ensyl wirbelte herum wie ein geübter Kampftänzer, ihr Schwert wurde zum verschwommenen Fleck und schnitt ihm den Zeigefinger am zweiten Knöchel ab. Der Mann heulte auf und schwenkte die verstümmelte Hand.
    »Kriechlinge! Dreckige Kanalratten, Hurensöhne, Madengezücht! Ich bringe euch alle um!«
    Kriechlinge! Kriechlinge! Das böse Wort verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Vor und hinter ihnen erzitterte die Mole unter schweren Stiefeltritten. Eine Horde von Riesen, nur zwei oder drei davon nüchtern, kam vom Dorf her geradewegs auf sie zugestapft. Auf den umliegenden Schiffen eilten andere mit Lampen an die Reling und blinzelten in die Dämmerung. Eine Flasche zerschellte, ein Regen von Splittern ging auf sie nieder.
    »Auf die Barkasse!«, rief Dri und stürzte sich ohne Zögern vom Kai. Sobald sie auf das Wasser zufiel, blähten sich die Schöße ihres Schwalbenfedergewands wie zwei Segel. Diadrelu breitete die Arme aus und tastete nach den Handschuhen, die in den Saum eingenäht waren. Die Flügelknochen der Schwalbe, ein Familienerbstück, waren mit diesen Handschuhen fest verschmolzen, und sobald sie mit den Händen hineinschlüpfte, wurde sie zur Schwalbe, zu einem Vogel, einer geflügelten Frau.
    Sie konnte sich gerade noch abfangen: Ihre Füße streiften bereits eine Welle. Mit vier schmerzhaften Armschlägen schwang sie sich in die Lüfte und schoss, dreißig Fuß von der Mole entfernt, wo ihre Leute sich zur Verteidigung anschickten, auf das Deck der Barkasse. Es war ein langes, schwarzes Schiff, und die Lampen am anderen Ende bewegten sich nicht. Sie schloss daraus, dass die Besatzung den Aufschrei ›Kriechlinge!‹ noch nicht vernommen hatte. Aber das würde sich rasch ändern: In wenigen Minuten wüsste jedes Boot in Sorrophran von der ›Seuche‹. Bei Rin! Die Chathrand! Man wird sie noch einmal durchsuchen!
    Ein dumpfer Schlag zwischen den Fischkästen neben ihr: Taliktrum hatte den Enterhaken geworfen. Ohne auf ihr Zeichen zu warten! Für einen solchen Protokollverstoß gab es zwei mögliche Gründe, und keiner davon war erfreulich. Dri zog die Hände aus den Handschuhen, schnappte sich den Haken und zerrte ihn mit dem Seil zur Backbordreling. Sekunden später war das Seil festgemacht: Sie zog zweimal daran und spürte, wie es sich straffte, als Taliktrum es an der Mole vertäute.
    Sie glitten daran hinab wie schwarze Perlen an einer Schnur. Als Taliktrum als Siebenter eintraf, konnte seine Tante ihre Wut kaum noch bezähmen.
    »Du hättest mich mit diesem Haken treffen können«, fauchte sie. »Und als Talags Sohn müsstest du als Letzter ans Seil gehen.«
    Taliktrum sah sie empört an. »Ich bin der Letzte«, sagte er.
    »Was?« Dri zählte rasch. »Wo ist Nytikyn?«
    Taliktrum antwortete nicht, schlug aber die Augen nieder.
    »Oh nein! Nein!«
    »Es war ein Junge«, sagte Ensyl. »Irgendein Fischerbalg.«
    »Nytikyn«, keuchte Diadrelu. Ihre Augen standen niemals still, sondern suchten unermüdlich Kisten- und Ballenstapel nach drohenden Gefahren ab – aber ihre Stimme klang hohl und verzweifelt.
    »Er hat uns gerettet«, sagte Taliktrum. »Der Junge war ein wahrer Satansbraten, er wollte das Seil durchschneiden und uns alle ertränken. Wer weiß, Tante? Es könnte derselbe gewesen sein, der vorhin seinem Schiff nachflennte. Von dem du so entzückt warst.«
    Diadrelu blinzelte verdutzt, dann schüttelte sie sich. »Wir rennen«, sagte sie dann.
    Sie gelangten ungehindert über die Barkasse, auch der Sprung von ihrer Reling auf den Krabbenfänger daneben gelang. Doch an Bord des Krabbenfängers hätte das Schicksal fast wieder zugeschlagen: Die Mannschaft schrubbte das Vordeck, und als das Boot schwankte, ergoss sich ein Schwall Bilgenwasser über die Ixchel, als wäre ein Fluss über die Ufer getreten. Aber sie hakten sich nach alter Sitte gegenseitig unter, und die Letzten in der Kette klammerten sich an eine Decksklampe. Kaum war der Sturzbach verrauscht, rannten sie zur dunklen Seite des Ruderhauses und kletterten auf das Dach.
    Dort wartete die nächste Bewährungsprobe. Genau über ihnen führte ein Haltetau von der Chathrand vorbei, eines von Dutzenden, mit denen das Große Schiff wie ein Riesenstier an nahezu allen festen Punkten am Kai festgemacht war. Diese Leine war an der Fischermole, ihrem ursprüng lichen Ziel, befestigt, erreichte über dem Krabbenfänger ihren tiefsten Punkt und stieg dann steil zum mehr als hundert Fuß

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