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Windkämpfer

Windkämpfer

Titel: Windkämpfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Redick
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müssen. Und seinen Eltern. Und den anderen Eltern, Kindern und Geliebten der Toten.
    Schon zehn Opfer auf dieser Mission. Und wir haben noch nicht einmal den Hafen verlassen.

3
     
    D ER M EISTER UND SEINE S CHÜLER
     
     
    2. – 3. Vaqrin 941
     
    Dreihundert Fuß über dem Deck der Chathrand saß ein Vogel im morgendlichen Nieselregen auf dem Mast eines Skeisegels und sah vollkommen ungerührt zu, wie die Ixchel das Tau erklommen. Es war ein außergewöhnlich schöner Vogel: ein Mondfalke, oben schwarz, mit blassgelber Brust. Er war kleiner als ein Habicht, aber ein besserer Jäger, schnell genug, um einem Adler den Fisch aus den Krallen zu reißen, wenn ihm danach zumute war. Als das Ix-Weibchen in ihrem Federgewand herumflatterte, überlegte der Falke träge und mehr aus verletztem Stolz über ihren unbeholfenen Flug denn aus Hunger, ob er sie töten sollte. Sie war nicht in ihrem Element. Aber der Falke wusste, was er zu tun hatte, und regte sich auch nicht, als das kleine Volk unter das Rettungsboot taumelte, ein paar letzte Ratten vom Landungssteg an Bord sprangen und ein zahnloser Sträfling aus dem Kerker von Sorrophran nur wenige Meter unter ihm mit kindischem Geplapper heißen Teer auf den Mast tupfte: »Sieh nur, Jimmy, mein Vögelchen! Jetzt fahren wir doch noch mit dem Großen Schiff! «
    Überall auf dem Schiff schmirgelten Sträflinge raue Planken ab, teerten Taue, um sie vor dem Salzgischt der kommenden Monate zu schützen, und trieben Messingpflöcke in Heckbalken und Masten. Der Falke nahm sie zur Kenntnis wie die Rinder auf einer Weide: nicht essbar, zu nichts zu gebrauchen, keine Bedrohung. Für ihn war in ganz Sorrophran nur eine Sache von Bedeutung: die prächtige rote Kutsche, die vom Wasser aus gesehen acht Straßen bergauf neben der Seemannsschenke stand. Die Augen des Falken waren so scharf, dass er die Fliegen auf den Kruppen der Pferde zählen konnte, aber durch die Tür der Schenke drang sein Blick nicht, und so konnte er nicht sehen, wer in der Nacht mit dieser Kutsche eingetroffen war.
    »Stückchen Brot für unseren hübschen Jim!«
    Der Sträfling zog einen verschimmelten Schiffszwieback aus der Tasche, brach ihn entzwei und warf dem Falken die eine Hälfte zu. Der Vogel ließ sich zu keiner Bewegung herab. Auf dem Kai vor der Chathrand sammelte sich eine große Menschenmenge: Straßenjungen, torkelnde Betrunkene, einfache Seeleute mit blassen Frauen und barfüßigen Kindern, Obstverkäufer, Rumverkäufer und Rapopalni-Mönche in senfgelben Kutten. Sie alle wurden durch einen Holzzaun, der den Platz in zwei Teile zerschnitt, von der großen Rampe ferngehalten, die auf die Chathrand führte. Dicht hinter dem Zaun marschierten Kaiserliche Seesoldaten auf und ab. Ihre Helme blitzten in der Sonne.
    Endlich wurde die Tür der Schenke weit aufgerissen. Der Vogel merkte auf. Auf die Schwelle trat langsamen Schritts ein schwerer, muskelbepackter Mann in schwarzem Rock mit goldenem Besatz: die Uniform eines Offiziers der Handelsmarine. Der Kragen war im Nacken hochgeschlagen. Ein krauser, rostroter Bart hing ihm auf die Brust. Die blanken Augen huschten ruhelos hin und her. Die Tür, die Pferde, ja sogar die Luft, alles schien sein Misstrauen zu erwecken.
    Der Kutscher sprang hastig vom Bock, öffnete den Schlag und klappte die Trittstufe herunter. Der Rotbart übersah ihn. Alsbald trat aus der Kneipe ein Diener mit einem Tablett. Darauf stand eine Schüssel, und in dieser Schüssel sah der Falke vier winzige, himmelblaue Eier des Milop-Vogels liegen. Die schüttete sich der Bärtige in die Hand. Der Diener wartete, die Pferde scharrten mit den Hufen, der Kutscher stand im Regen, aber der Mann hatte nur Augen für die Eier. Unendlich geduldig nahm er eines nach dem anderen aus der Schüssel und rollte es auf der Handfläche hin und her. Dann biss er eines erstaunlich behutsam auf und trank es aus. Das tat er viermal. Dann reichte er dem Diener die leeren Schalen und stapfte auf die Kutsche zu.
    Jetzt sah es der Falke: Der linke Fuß des Mannes zuckte gelegentlich mit der Spitze nach innen. Es war kein Humpeln, aber doch unverkennbar – sein Herr hatte es ihm gezeigt. Der Bart, die Eier, das Zucken. Beweise genug.
    Der Kutschenschlag fiel zu. Der Kutscher kletterte auf den Bock und trieb die Pferde mit der Peitsche in Trab. Fast eine Meile entfernt schnellte sich der Falke mit einem Kampfschrei vom Mast. Der Sträfling erschrak so sehr, dass er sich heißen Teer über das Bein goss. Das

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