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Windkämpfer

Windkämpfer

Titel: Windkämpfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Redick
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Fünfmonatsfest oder bis zur nächsten Hochzeit bin ich für euch alle Dri – ganz einfach. Oder Diadrelu, wenn ihr darauf besteht. In Etherhorde, auf Schloss Ixphir habe ich es immer so gehalten, und ich gedenke nicht, daran etwas zu ändern. Disziplin und Unterwürfigkeit sind zweierlei. Und nun dreht euch um und seht euch das Ungeheuer an. Nur zu.«
    Zögernd beugten sie sich über das Wasser. Eine Saphirkrabbe, größer als der Essteller eines Menschen, hatte sich ins Moos gekrallt und starrte mit Augen wie Fischeiern zu ihnen herauf. Eine ihrer riesigen, gezackten Scheren öffnete und schloss sich unentwegt. Die Ixchel wussten nur zu gut, dass eine solche Schere jeden Einzelnen von ihnen in der Mitte entzweischneiden konnte.
    »Für die Krabben bin ich keine ›Lady‹. Und für diese mörderische rote Katze auch nicht, falls die Hexe Oggosk sie mit an Bord bringt. Ebenso wenig wie für die Freunde von Halsbändern.«
    Bei dem Wort ›Halsbänder‹ erschauerten alle und schlugen beschämt die Augen nieder.
    »Der eine oder andere wird darunter sein«, sagte sie. »Das ist euch bekannt. Also: Kann ich mich vor denen hinter meinem Rang verstecken? Deshalb werde ich auch nicht zulassen, dass ihr euch vor mir hinter Förmlichkeiten versteckt. Oder vor eurer Pflicht, selbstständig zu denken. Alles in allem werden wir dreihundertundvierzig Leute zählen. Die Riesen sind dreimal so viele, und wenn wir ihnen auf dem Weg von hier bis zur Heimstatt-jenseits-des-Meeres nicht an jeder Ecke im Geiste einen Schritt voraus sind, werden sie uns alle ermorden. Die Krieger, die Kinder und auch eure alten Eltern, die in Etherhorde auf euch warten. Bei Rin, Leute! Ich bin nicht gescheit genug, um alles allein zu machen! Niemand kann das. Der Gedanke, den ihr aus Bescheidenheit nicht äußert, könnte uns allen das Leben retten. Zweifelt jemand an meinen Worten?«
    Schweigen. Leise schlugen die Wellen gegen das Holz. Im fernen Dorf läuteten Tempelglocken den Morgen ein.
    »Dann wollen wir jetzt unser Schiff besteigen«, sagte sie.
    »Dri!«, ertönte es leise, aber mit Inbrunst. Alle riefen es, bis auf Taliktrum. Er liebte Titel und Rangunterschiede und würde sich als Lord Taliktrum ansprechen lassen, sobald ihn sein Vater zum Mann erklärte.
    Die Ixchel standen auf, reckten und streckten sich, knöpften sich die Hemden aus Aalhaut und Segeltuch zu und wuschen sich in einer Regenwasserpfütze die Gesichter. Dann übernahm Diadrelu die Führung, und sie rannten los.
    Wenn sich ein Ixchel-Clan vorgenommen hat, einen bestimmten Ort zu erreichen, dann ist es, als raste ein Gedanke quecksilbergleich auf sein Ziel zu. Die neun Ixchel huschten die hölzerne Spundwand hinauf, als wäre es eine Treppe, stürmten oben über einen Querbalken, der unter den Stiefeln der wenige Zoll darüber hinwegstapfenden Fischer erzitterte, fanden ein Astloch in den Brettern, bildeten aus Körpern eine Leiter und zogen einander binnen eines Herzschlags hinauf auf die Mole.
    Kein Riese sah sie. Aber eine große hungrige Möwe hatte sie erspäht und hüpfte geradewegs auf Dri zu, doch schon bohrten sich vier nadelspitze Pfeile in ihre Brust, und sie kreischte empört und stolperte davon. Jetzt kam die schwierigste Etappe: schutzlos, mit breiten Lücken zwischen den Brettern und spitzen Holzsplittern – hier konnte man auf verschiedenste Arten zu Tode kommen. Ixchel laufen in Formation, entweder als Raute oder als Pfeilspitze, und Dri sah zufrieden, wie fest der Clan, den es vor vier Tagen noch nicht gegeben hatte, zusammenhielt.
    Es fing gut an. Die Fischer waren so entgegenkommend, ihre Zehen zur Bucht hin zu richten. Eine Hafenratte erstarrte bei ihrem Anblick, ihr Fell sträubte sich, und ihr abgehackter Stummelschwanz zuckte unruhig, aber sie war klug genug, die Ixchel ungehindert passieren zu lassen. Sie zischte sogar einen Gruß: Werdet fett, Brüder! – der Gipfel an Höflichkeit für eine Ratte.
    Am besten war, dass der Wind schlief. Zwei Wochen zuvor hatte Dri genau an dieser Mole einen Jungen verloren, der von einer plötzlichen Bö seitwärts in die Wellen geschleudert worden war.
    Mutter Himmel, womöglich verlieren wir heute keine einzige Seele!, dachte Dri.
    Doch auf halbem Weg zum Festland erwachte ein Matrose, der flach auf dem Rücken lag und nach Kürbisbier roch, mit einem Mal zum Leben und grapschte nach Ensyl, der Jüngsten der Gruppe. Hätte er mit seinem Stiefel nach ihr geschlagen, er hätte sie trotz seiner Trunkenheit töten

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