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Windkämpfer

Windkämpfer

Titel: Windkämpfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Redick
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Äußerlich glichen sie Menschen, genauer gesagt, jungen Mädchen, aber ihre Gliedmaßen waren biegsam und konnten sich einrollen wie kein menschlicher Arm und kein menschliches Bein, und wo die Sonne auf ihre Haut fiel, flimmerte sie in allen Regenbogenfarben. Langes weißes Haar wogte um ihre Köpfe, und ihre Augen glänzten wie Silber. Die Kleider waren wie Tücher aus milchweißem Licht.
    Die Jungen waren sofort umzingelt. Die Murten hatten hübsche Gesichter, aber sehr scharfe Zähne. War das ein Lächeln? Es sah so aus, aber bedeutete ein Lächeln bei einer See-Murte Freundschaft oder Drohung? Eigentlich spielte es kaum eine Rolle, denn ihnen ging die Luft aus. Sie hatten Mintu nicht helfen können und durften von Glück reden, wenn sie mit dem Leben davonkamen. Pazel deutete auf den Tunnel: Los jetzt. Dann berührte ein Murten-Mädchen seinen Knöchel, und die Welt veränderte sich.
    Ein warmes Glücksgefühl durchströmte Pazels Bein wie flüssiges Gold. Er konnte atmen! Er wusste es sofort, öffnete ohne die geringsten Bedenken den Mund und füllte seine Lungen mit Wasser. Das ging so mühelos, als wäre es Luft. Eines der Wesen musste auch Neeps angefasst haben, denn er schwebte mit offenem Mund töricht grinsend neben Pazel. Auch mit ihren Ohren war etwas geschehen. Sie konnten hören, wie das Wasser durch Felsspalten rauschte, wie die Aale quiekten, wie ein vorbeischwimmender Trommelfisch brummte. Und über allem lag wie Silberglöckchen das Lachen der Murten.
    »Sieh nur, wie sie lächeln! Sie hatten noch weniger Luft als die Ersten!«
    »Die gefallen mir besser. Sie sind fast erwachsen.«
    »Welchen willst du zum Mann, Vvsttrk? He, he, he?«
    »Der da wäre klein genug für dich. Aber ich glaube, dem Dunklen gefällst du besser.«
    Die Jungen schwammen Rücken an Rücken und traten Wasser, während die Murten um sie herumflitzten. Neeps streckte die Hände aus und lachte, als die letzten Luftblasen aus seinem Mund quollen. Dann hielt eines der Mädchen dicht vor Pazel an. Sie hatte ein schelmisches Lächeln, und in ihr Haar waren Hunderte von winzigen Kulri-Muscheln eingeflochten. Sie berührte mit einer Hand zart sein Gesicht, und er erkannte irgendwie (das Gold durchströmte ihn schon wieder), dass sie es war, die ihn auch zum ersten Mal berührt hatte.
    »Er ist mein«, sagte sie, und ihre Schwestern lachten.
    Dann fragte Pazel: »Habt ihr einen kleinen Jungen gesehen?«
    Sie war nicht mehr da. Keine Murte war mehr da. Pazel hatte gerade noch ihre entsetzten Blicke bemerkt, bevor sie im Tang verschwanden.
    Neeps fuhr wütend auf ihn los. »Warum hast du das getan?«
    »Ich?«
    »Das war der schönste Zauber, von dem ich je gehört habe. Wie konntest du sie verscheuchen? Womit hast du sie beleidigt?«
    »Überhaupt nicht! Hast du denn nicht gehört, was ich sagte?«
    »Und ob!«, antwortete Neeps. »Du sagtest: ›Skrree-glic-glic-scrreeeee!‹«
    »Was?«
    »Nun tu nicht so, Pazel. Du hast Murtisch gesprochen.«
    Pazel hielt sich die Ohren zu. Oh nein.
    Da war es: das Schnurren. Seine Gabe regte sich wieder und lehrte ihn die Murten-Sprache. Aber wie lange ging das schon so? Er hatte so viele Tage im Lärm der Gefangenschaft verbracht, umgeben vom Summen der Insekten, vom Pfeifen der Stürme. Waren nun vielleicht die letzten Stunden – oder gar Minuten – seines Lebens angebrochen?
    »Neeps«, sagte er, »du musst mir jetzt genau zuhören. Ich habe dir doch erzählt, wie meine Gabe wirkt? Wie sie immer in einem Krampf endet, bei dem ich weder sprechen noch jemanden verstehen kann und diese schrecklichen Geräusche über mich hereinbrechen? Nun, bald ist es wieder so weit.«
    »Keine Sorge«, sagte Neeps, der sich bereits wieder beruhigt hatte. »Ich kümmere mich um dich.«
    »Lass nicht zu, dass mich die Volpek anschreien! Sag ihnen, es ist ein ganz natürlicher Zustand, ähnlich wie ein Schluckauf.«
    »Ein Schluckauf. Hast du dir selbst einmal dabei zugesehen, Kumpel? Nicht einmal diese Holzköpfe … Pazel, schau doch nur!«
    Neeps zeigte ins Halbdunkel. Etwa sechzig Meter entfernt erhob sich vor einem großen schwarzen Felsen die zweite Hälfte der Lythra. Die abgebrochenen Auslegerbalken hielten sie im Sand fest wie ein Anker. Ihre Galionsfigur, ein Engel, breitete mit Seepocken besetzte Flügel aus und schaute sehnsüchtig himmelwärts. Über den Rumpf zog sich so gleichmäßig wie in einen Ledergürtel gestanzt eine Reihe riesiger Einschusslöcher, so als hätte man aus kürzester

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