Windkämpfer
In Roses Kajüte. Es war die Stimme des Vorkosters des Kapitäns.
»Steldak«, flüsterte er.
»Ja, mein Junge. Aber suche bitte nicht nach mir. «
»Was ist mit Dri und ihrem Bruder?«
»Die Herrschaften sind nicht zurückgekehrt, Pazel Pathkendle. Der Rat versuchte sie zu warnen. Es war bodenlos leichtsinnig, einen Magier in die Wildnis zu verfolgen. Jetzt hat der Clan alle seine Fürsten verloren. Ihr edler Vater kam bei meiner Befreiung ums Leben.«
»Ich weiß«, sagte Pazel. »Sie hat es mir erzählt.«
Auf dem Achterdeck wurde es unruhig. Rose hatte offenbar eine Entscheidung getroffen. Er sprach mit Uskins, der ihm nicht von der Seite wich. Der Erste Maat nickte, dann drehte er sich um und gab den Befehl weiter.
»Nach Süden! Mit vollen Segeln Richtung Simja!«
Von der Besatzung kam ein Aufschrei des Protests. Schande, Ungeheuerlichkeit! Einen hilflos im Wasser treibenden Menschen im Stich zu lassen! Isiq warf seinen Hut zu Boden und marschierte in Richtung Achterdeck. Selbst Pazel, der ahnte, dass es schreckliche Folgen hätte, wenn Druffle an Bord käme, fand den Gedanken bestürzend, ihn einfach dem Tod zu überlassen.
Doch auf der Chathrand gab es nur einen Kapitän, und der war entschlossen, seinen Willen durchzusetzen. Er nickte Drellarek zu, und der Sergeant blaffte Befehle an seine Männer. Eberzam Isiq fand den Aufgang zum Achterdeck von gekreuzten Schwertern versperrt. Uskins beugte sich über die Reling und brüllte Elkstem an, der mit offenem Mund zum Kapitän hinaufstarrte.
»Nach Süden, Segelmeister, oder ist heute Henkerstag? Sollen wir uns wirklich einen pestverseuchten, sterbenden Ormalier an Bord holen und den wurmzerfressenen Leichnam unter seinen Füßen gleich mit? MIT VOLLEN SEGELN RICHTUNG SIMJA, ODER ICH LASSE IHNEN DIE AUGEN AUSBRENNEN!«
Mit hundert Kriegern im Nacken entschieden sich die Matrosen schnell, dem Befehl zu gehorchen. Elkstem drehte das Ruder; die Backbord- und Steuerbordwachen lösten die Brassen, und Sekunden später legten sich die Männer ächzend ins Zeug, um die riesigen Segel in den Wind zu drehen.
Alle spürten, wie das Schiff einen Satz nach vorne machte. Aber nur Pazel hörte Steldak sagen: »Aha, jetzt nimmt er uns wahr. «
Pazel schaute zum Rettungsboot hinüber. Druffle beobachtete sie über die Schulter hinweg.
»Wir können nicht einfach wegfahren!«, rief Tascha. »Chadfallow sagte doch, Arunis hätte ihn verzaubert. Vielleicht ist Druffle gar kein schlechter Mensch!«
»Und selbst wenn, das ist nicht Recht«, pflichtete Pazel ihr bei. »Wir sollten besser sein als Arunis.«
»Wir sind das ja auch«, sagte Neeps mit einem wütenden Blick hinauf zu Rose.
»Es tut sich was«, ließ sich eine andere Ixchel-Stimme vernehmen. »Seht euch die Segel an!«
»Seht euch die Segel an!«, wiederholte Pazel laut.
An allen fünf Masten erschlafften die Segel. Der Wind legte sich; die Wimpel flatterten kaum noch. Die Chathrand wurde langsamer.
»Bramsegel!«, rief Rose, ohne Uskins noch zu bemühen. »Steuerbord, hinauf damit!«
Flink wie die Affen rasten die Matrosen die Wanten hinauf. Hoch oben wurden die Bramsegel gelöst und gestrafft. Aber der nachlassende Wind konnte sie kaum füllen, und das Schiff wurde noch langsamer.
»Sprietsegel! Mondsegel!«, brüllte der Kapitän. »Hinauf mit den greimigen Leesegeln, Mr. Frix! Ich möchte auch den letzten Zoll Tuch gehisst haben!«
Von unten wurden die Leesegel aufgezogen und an den Spierenenden angeschlagen. Vier Matrosen kletterten an der Gänsemagd vorbei nach draußen, um den Klüver zu verlängern. Jetzt tuschelte niemand mehr von Schande und Ungeheuerlichkeit: Zu unheimlich war der plötzliche Windabfall, zu ansteckend die Angst des Kapitäns.
In wenigen Minuten war eine ganze Schar von neuen Segeln aus den Masten geschossen, und die Chathrand sah aus wie ein großer weißer Vogel, der in der Sonne seine Flügel ausbreitete.
Eine, vielleicht auch zwei Minuten lang nahm sie Fahrt auf. Die Matrosen wagten aufzuatmen. Dann legte sich der schwache Wind vollends. Tascha sah, wie ihr Vater sich im Kreis drehte und die riesigen und doch so nutzlosen Segelflächen anstarrte. Ringsum legten sich sogar die Wellen flach.
Plötzlich bemerkte Pazel, dass Jervik dicht hinter ihnen stand. Ihre Blicke begegneten sich.
»Eine Totenflaute«, flüsterte Jervik. »Aber so plötzlich! Das kann doch nicht natürlich sein?«
Pazel sagte nichts. Er fand es fast noch unnatürlicher, dass Jervik ohne Hass mit
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