Windkämpfer
Kampfschiff feuerte auf Gregory, bis ihm die Kugeln ausgingen, und als es sich Kap Córistel näherte, setzte es eine Flagge, die ihn aufforderte, sich zu ergeben. Man hörte Pazels Vater »Nein!« rufen und sah ihn auf dem Achterdeck wild mit den Armen rudern. Und dann kam die Grygulv um das Kap herum.
Die Grygulv war ein mzithrinischer Blodmel oder ›Kriegsengel‹, eines der gefährlichsten Schiffe auf allen Meeren. In heller Panik befahl der ormalische Kapitän seinen Männern, eine ›Halse‹ – also eine volle Drehung – zu fahren und mit dem Wind davonzusegeln. Doch die Grygulv war bereits heran und feuerte eine Breitseite aus allen Rohren, die Steuer und Mast des ormalischen Schiffes zerschmetterte. Dann schickte die Grygulv die weltweit am meisten gefürchtete Waffe hinterher – ein mzithrinisches Drachenei, das sich beim Aufprall entzündete und flüssiges Feuer über das Deck ergoss. Als sich der Rauch verzogen hatte, entfernte sich die Grygulv nach Westen, und dreißig tote Ormalier lagen an Deck.
Die Stadt, die nach Kapitän Gregorys Verschwinden ein Jahr lang um ihn getrauert hatte, verlieh ihm nun auf der Stelle den Titel Pathkendle der Verräter, und für viele seiner Schulkameraden wurde Pazel einfach zum Sohn des Verräters.
Pazel litt entsetzlich. Sogar seine besten Freunde ließen ihn im Stich. Einige seiner Lehrer fühlten sich verpflichtet, ihn wegen seines ›sündigen Blutes‹ zu bestra fen: Er musste abseits sitzen und wurde als faul und dumm beschimpft, wenn er eine falsche Antwort gab (was selten vorkam). Als seine Mutter sich beim Schulleiter beschwerte, hob der Mann nur die Hände. »Was können wir dafür? Sie haben den Schurken doch geheiratet!« Suthinia packte die Wut, sie jagte den Schulleiter aus seinem Amtszimmer in den Biologiesaal und verprügelte ihn mit einem ausgestopften Krallenäffchen. Dann holte sie Pazel aus dem Unterricht und schleppte ihn wortlos nach Hause. Nach diesem Vorfall wollte ihn jedoch keine andere Schule mehr aufnehmen, und nach drei Wochen bezahlte sie dem Schulleiter einen geradezu lächerlich hohen Betrag, damit er die ganze Sache vergäße.
Von diesem Tag an aßen sie weniger und sparten an kühlen Abenden mit der Kohle. Und als er zur Schule zurückkehrte, empfingen ihn seine Klassenkameraden mit einem Spottlied:
Ein Schuft ist Pazel Pathkendles Papa,
Mit Affen schlägt um sich seine Mama.
Es war so schlimm, dass er hoffte, Suthinia würde sich niemals wieder genötigt fühlen, ihn zu beschützen. Dabei hatte sie noch nicht einmal begonnen, ihren großen Plan zum Schutz ihrer Kinder in die Tat umzusetzen.
Der einzige Lichtblick in dieser Zeit war Chadfallow, der immer noch jede Woche bei den Pathkendles speiste. Der Sondergesandte war inzwischen der beliebteste Mann in Ormael geworden. Nach der Grygulv- Katastrophe schickte ihn der Bürgermeister von Ormael mit der Bitte um Beistand zu seinem Kaiser zurück. Der Arzt kam genau in dem Moment wieder, als in der Stadt ein wildes Gerücht über eine Invasion die Runde machte – niemand wusste, wer es in die Welt gesetzt hatte –, und als er in Ormaelport an Land ging, wurde er mit Jubel empfangen.
»Ich habe dem Ametrin-Thron eure Bitte vorgetragen«, erklärte er der Menge. »Der Kaiser wird bald von sich hören lassen.«
Pazel hätte sich keinen besseren Beschützer wünschen können. Jedermann wusste, dass Arqual im Zweiten Seekrieg mit unentschiedenem Ausgang gegen das Mzithrin gekämpft hatte. Anstatt Sohn des Verräters zu sein, galt Pazel jetzt als Wahlneffe des Gesandten, der Ormael retten würde. Der Junge verstand von solchen Dingen nicht viel, aber er wusste, dass sich durch Chadfallow sein Schicksal gewendet hatte, und dafür liebte er ihn.
Außerdem hatte Chadfallow dieses Mal etwas Besseres als Grammatikbücher mitgebracht. Sein Geschenk war ein Flugdrachen in Form eines Kolibris. Pazel bespannte ihn mit einer Angelsehne, die er im Hafen hatte mitgehen lassen, und ließ ihn auf den Hügeln über den Pflaumengärten steigen. Der Drachen war mehrere Monate lang sein liebstes Spielzeug, bis er eines Tages bei einer plötzlichen Flaute vor der Quarrel-Klippe ins Meer stürzte.
Es war seltsam still an diesem Abend. Auf dem Heimweg war Pazel noch ein Kind, das um ein verlorenes Spielzeug weinte. Doch als er das Steinhaus erreichte, war der Hof voll mit fremden Menschen. Großen, schwitzenden Männern. Mit Goldhelmen, Panzerhemden aus Metallplatten und schwarzen, mit Blut
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