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Windkämpfer

Windkämpfer

Titel: Windkämpfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Redick
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Fremde gewesen war, der sein Leben weggeworfen hatte, um mit ihr sprechen zu können. Sie wusste nur, dass ihr Vater sich irrte: Der Mann war ganz sicher nicht nur ein gewöhnlicher Landstreicher.
    Sie ließ den enttäuschten Reporter am Kai zurück, wo er von einem Fuß auf den anderen hüpfte, und betrat die Fahrgastbrücke. Doch dann drehte sie sich noch einmal um und sagte, einer spontanen Eingebung folgend: »Wenn alles fehlschlagen … wenn uns etwas Schreckliches zustoßen sollte … dann fragen Sie die Mutter Prohibitor der Lorg-Schule nach diesem ›mighra Cror‹ .«
     
    *     *     *
     
    Kapitän Rose stand mit grimmiger Miene an Deck und verneigte sich vor dem Botschafter und Lady Syrarys. Sein roter Bart und die blauen Ordensbänder der Handelsmarine flatterten im Wind. Die Offiziere der Chathrand hatten sich in Reih und Glied und kerzengerader Haltung hinter ihm aufgestellt. Beim kleinsten Stoß würden sie umfallen wie die Kegel, dachte Tascha.
    Nach dem Ehrengast gingen die Passagiere der Ersten Klasse an Bord. Insgesamt waren es an die zwei Dutzend Personen: Familien, die zum Vergnügen oder in Geschäften nach Westen in die Herrenlosen Lande reisten. Die Männer trugen Seemannsmützen und maßgeschneiderte Jacken und die Frauen Sommerkleider, die Kinder sprangen um sie herum wie kleine Kobolde. Lady Lapadolmas Nichte Pacu, eine schöne Frau mit Mandelaugen, erschien im adretten, hochgeschlossenen Reitdress (»Wo hast du dein Pferdchen gelassen, Schätzchen?«, rief eine spottlustige Stimme). Ihr folgte ein schmächtiger Mann mit weißen Handschuhen und angeklatschten Stirnfransen. Ein zahmes Faultier hing ihm am Hals wie ein haariger Säugling. Das war Latzlo der Tierhändler, der für ein paar Monate Wildtiere kaufen und verkaufen und sich zugleich weiter um Pacu bemühen wollte. Mr. Ket, der Seifenhändler, der bis hierher auf der Eniel gefahren war, hörte sich seine wortreichen Erzählungen über Schneelerchen und Walrosshäute geduldig an. Er unterbrach Latzlo kein einziges Mal, sondern gluckste nur leise in sich hinein und spielte mit seinem zerschlissenen weißen Schal.
    Die Begrüßung dieser vornehmen Herrschaften blieb den Offizieren überlassen. Captain Rose war mit Isiq und Syrarys unter Deck verschwunden. Mr. Uskins, dem Reichtum und ›feine Lebensart‹ von jeher imponierten, schüttelte den Männern die Hände, als wären es Pumpenschwengel. Der Bootsmann, ein kleiner, untersetzter Mann mit hängenden Schultern namens Swellows, tänzelte mit unterwürfigem Grinsen um die Damen herum. Mr. Teggatz bot Teegebäck an.
    Die Passagiere ließen sich Zeit, um das Oberdeck gebührend zu bestaunen, während die sechshundert Matrosen schweigend warteten. Endlich war auch der letzte Sonnenschirm unter Deck verschwunden, und die Besatzung bewegte die schmerzenden Schultern und kehrte an ihre Arbeit zurück. Jetzt wurden die Dienstboten an Bord gelassen. Sie waren doppelt so viele an Zahl wie ihre Herrschaften, aber sie gingen schneller. Zum Bummeln hatten sie gar nicht die Kraft, denn die einen mussten neben ihren eigenen Köfferchen auch noch die Lieblingsschuhe und -mäntel ihrer Herren oder die Schnapsflaschen tragen, die zu kostbar waren, um sie in Kisten zu befördern, die anderen zogen Hunde hinter sich her, und manche hatten sogar Wickelkinder in den Armen. In dieser Gruppe befand sich auch Hercól mit Jorl und Suzyt, die jämmerlich winselten, weil man sie von Tascha getrennt hatte, aber dabei immer noch so einschüchternd waren, dass alle respektvoll Abstand hielten.
    Die Nächsten waren die Schauerleute. Letzte Vorräte mussten an Bord gebracht werden: Bier, Salz, Schießpulver, Ersatzketten und -taue, eine Knochensäge für Doktor Rain. Auch alle Waren, die die Händler im Westen zu verkaufen hofften, die Stiefel, das schwere Tuch, der leichtere Kattun, waren zu verladen. Und natürlich Latzlos Tiere: weiße Papageien und braune Nashornvögel, Streifengänse, sechsbeinige Nasenfledermäuse und grüne Affen von den Ullupriden. Acht Männer schleppten einen Käfig mit einem Pinselohrschwein, das aufgeregt quiekte und mit den Hauern gegen die Gitterstäbe schlug. Kleinere Lattenverschläge, zu dunkel und zu eng, als dass man den Inhalt hätte erkennen können, wurden stapelweise übereinander auf das Schiff getragen.
    Eine Reihe von Fahrgästen aus der Ersten Klasse ging nicht auf Reisen, sondern zog um, und ihre tausend Habseligkeiten wurden nun die Fahrgastbrücke

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