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Windkämpfer

Windkämpfer

Titel: Windkämpfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Redick
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hinaufgeschleppt oder mit dem Lastenkran an Deck gehievt. Am wichtigsten war der Hausrat des Botschafters. Alle alten oder wertvollen Möbelstücke befanden sich in riesigen Lattenverschlägen: Eberzam Isiqs Schreibtisch, Syrarys’ Kleiderschrank, Taschas Wiege und das riesige Himmelbett, in dem der alte Mann so viel Zeit wie möglich mit seiner zweiten Gemahlin verbrachte.
    Die Verschläge waren mit Zedernholzspänen ausgepolstert und dann wie Särge vernagelt worden. Die Fugen hatte man abgedichtet: das schützte halbwegs vor Feuchtigkeit, war aber vollkommen nutzlos gegen die Ixchel. In der Nacht zuvor waren dreihundert von ihnen in den Verschlag mit dem Bett eingedrungen. Sie hatten mit chirurgischer Präzision ein Loch in die Holzwand gesägt, sich hineingezwängt und den runden Holzpfropfen so exakt wieder festgeklebt, dass nicht einmal der pedantische Butler Verdacht schöpfte. Noch vor Tagesanbruch war der ganze Verschlag mit Luftlöchern durchsiebt, die kleiner waren als Flöhe, und Talag Tammaruk ap Ixhxchr, der die Invasion des Großen Schiffs plante und steuerte, legte sich im Bett des Botschafters zurück und schlief ein.
    Unbeachtet von der Menge war die halbe Bewohnerschaft von Schloss Ixphir in den Frachtraum hinabgelassen worden. Frachtgut langweilte die Zuschauer, wenn es nicht offensichtlich wertvoll war oder um sich trat und schnaubte wie Mr. Latzlos Tiere. Mit der Zeit verliefen sich die Menschen auf dem Platz, kauften bei den fliegenden Händlern gerösteten Tang oder Kammmuscheln oder begrüßten Freunde. Aber die Chathrand behielten sie stets im Auge, und als vier Vertreter der Reederei ein eisernes Drehkreuz an die Fußgängerbrücke heranschoben, rannten alle zurück zum Kai, um sich das nächste Schauspiel anzusehen.
    Das Drehkreuz war knallrot gestrichen. Seine Arme ließen immer nur eine Person auf einmal auf die Brücke und konnten mit einer Schlüsseldrehung blockiert werden. Die Abgesandten der Kompagnie überprüften die Funktion, dann nickten sie Fiffengurt zu, der oben an Deck stand. Der Quartiermeister rief einem Matrosen auf dem Masttopp etwas zu. Der zog sich ein gelbes Tuch vom Kopf und schwenkte es durch die Luft.
    Fast eine Meile entfernt stand, vom prächtigen Kaiserpalast aus nicht zu sehen, ein langgestrecktes, niedriges Lagerhaus am Kai. Zwei Mann von der Kompagnie waren vor der schweren Tür postiert. Als sie das Tuch erblickten, stemmten sie sich gegen den Riegel. Die Tür schwang weit auf, und aus dem schwarzen Inneren des Gebäudes ergoss sich eine riesige Horde Menschen.
    Es waren sechshundert an der Zahl, beladen mit Säcken und Bündeln, mit Kisten und Kindern, einige barfuß, viele mehr oder weniger in Lumpen. Aber alle rannten nun, so schnell ihre Beine sie trugen, und wenn hin und wieder eine Wurst oder ein Beutel mit Schiffszwieback zu Boden fiel, blieb der Besitzer nicht stehen, denn was nützte ihm sein Mundvorrat, wenn er nicht an Bord gelangte? Sie alle waren Zwischendeckpassagiere und reisten Dritter Klasse. Zum Teil handelte es sich um Ipuliener und Uturphaner, die für eine Saison in den Kleiderfabriken von Etherhorde arbeiteten und oft nicht reicher, aber immer gesundheitlich angeschlagen nach Hause zurückkehrten. Ansonsten war es ein bunt gemischter Haufen. Bauern aus dem trockenen Ost-Arqual, die noch vor der Tee-Ernte Urnsfich zu erreichen hofften. Junge Paare, denen man die Heirat untersagt hatte und die nun genau zu diesem Zweck nach Westen flohen. Kleine Ganoven. Unbedeutende Feinde der Krone. Menschen, die auf der Flucht vor den gewalttätigen Ausschreitungen auf Pulduraj erst vor wenigen Monaten in der Kaiserlichen Hauptstadt eingetroffen waren, nur um festzustellen, dass es in den Elendsvierteln dort noch gefährlicher war als auf einer Insel im Krieg. Alle hatten im Voraus bezahlt, und es waren mehr, als die Chathrand tatsächlich aufnehmen konnte (wer zurückblieb, musste Tage oder Wochen auf das nächste Schiff warten). Sie hatten die Nacht auf dem nackten Boden des Lagerhauses verbracht, wo man sie eingeschlossen hatte, um den wohlhabenden Fahrgästen ihren Anblick zu ersparen.
    Die Zuschauer waren freilich vor allem wegen dieses Spektakels gekommen: um den blinden Sturm ganzer Familien auf das Schiff zu erleben. Vornehme Herren hoben ihre gut gekleideten Knaben auf die Schultern, damit sie die armen Teufel wie eine aufgescheuchte Rinderherde rennen sahen. Sie johlten und lachten und schlossen Wetten darauf ab, wer von den Hungerleidern

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