Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Windkämpfer

Windkämpfer

Titel: Windkämpfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Redick
Vom Netzwerk:
Grausamkeiten erlebt und war außer sich vor Wut. »Wie heißt dieses Schwein?«, fragte er.
    Reyasts Züge verzerrten sich vor Anstrengung. »D-f-Dj – D – Jervik!«
    »Jervik!«, rief Pazel entsetzt. »Ein Riesenlümmel mit einem Loch im Ohr?«
    Reyast nickte. Pazel fragte nicht weiter, sondern rannte geradewegs zum Lazarett. Jervik an Bord! Hatte ihn Kapitän Nestef endlich doch bei einer seiner Grausamkeiten ertappt und vom Schiff gejagt? Wie auch immer, es war eine schlimme Nachricht, und er hoffte immer noch, Reyast hätte sich geirrt. Er flog über das untere Batteriedeck zum Lazarett. Über der Tür sah er ein seltsames Schild:
     
    SCHIFFSLAZARETT
    DOKTOR IGNUS CHADFALLOW, ISSA,
    ORB-BRUDERSCHAFT
    DOKTOR CLAUDIUS RAIN
     
    Der erste Name war fein säuberlich in roten Lettern geschrieben. Der zweite war wie der Strich durch Chadfallows Namen mit blauer Kreide flüchtig hingekritzelt. Pazel musste sich am Türrahmen festhalten. Chadfallow hatte geplant, als Schiffsarzt auf der Chathrand zu fah ren? Aber warum hatte er seine Meinung geändert und Pazel gedrängt, das Schiff zu verlassen? Ich habe vor, sie zu besuchen, hatte er gesagt und damit Pazels Mutter und Schwester gemeint. War das der Grund, warum er hatte an Bord gehen wollen – oder der Grund, warum er es nicht getan hatte?
    Neeps lag im Lazarett in einer Hängematte. Er hatte eine geplatzte Lippe und kühlte ein Auge mit einem wassergefüllten Ölzeugbeutel. Der kleine Teerjunge knirschte vor Wut mit den Zähnen und gelobte feierlich, er würde Jervik schon noch lehren, sich von ihm fernzuhalten.
    Pazel mahnte ihn zu schweigen: Rain, der neue Arzt, eilte geschäftig vorbei, die weißen Augenbrauen besorgt zusammengezogen. Sie hörten, wie er vor sich hinmurmelte: »Undrabust, Neeps Undrabust, haha, hätte sich fast den Hals gebrochen, ihr Jungen solltet euch nicht an den Luken herumtreiben …«
    »Wehe, er kommt mir noch einmal zu nahe«, sagte Neeps, als der Arzt außer Hörweite war. »Jervik, meine ich – die feige Ratte.«
    »Aber wieso ist er überhaupt auf der Chathrand ?«, fragte Pazel unglücklich.
    »Er sagte, er hätte sich auf seinem alten Schiff gerade eben einen Teerjungen vom Hals geschafft, den er hasste«, knurrte Neeps. »Hat noch damit geprahlt, er hätte ihn ein Jahr lang ›verdroschen, ohne dass der greimige Narr jemals zurückgeschlagen‹ hätte. Und dann hätte er irgendeinem fetten Bootsmann geholfen, diesen Teerjungen in Sorrophran auszusetzen. Das hörte sein Kapitän, er wurde so wütend, wie ihn noch niemand je erlebt hatte, und jagte Jervik höchstpersönlich von seinem Schiff.«
    »Das war ich!«, rief Pazel. »Der Junge, den man ausgesetzt hat.«
    Neeps sah ihn mit seinem unverletzten Auge fest an. »Den schlage ich zu Brei«, versprach er. »Ich vertrimme ihn, bis er seinen Goldzahn verschluckt. Ich wringe ihn aus wie meinen Turban.«
    »Neeps!«, rief Pazel und packte ihn an der Schulter. »Leg dich nicht mit ihm an! Rose wirft dich den Haien vor! Außerdem ist Jervik riesig, und er kämpft nicht sauber. Der macht dich platt, Kumpel!«
    »Das kann er gern versuchen!«
    Das kam kaum verständlich durch die aufgequollenen Lippen. Neeps’ kleine Hände lagen, zu Fäusten geballt, an seiner Seite.
    Pazel erhob sich langsam und drückte die Stirn an die Wand. »Auf diesem Schiff gibt es nur Verrückte«, sagte er.
    »He!«, rief Neeps. »Wo hast du den Mantel her?«
    Und dann geschah es, so plötzlich wie ein Sturz ins Meer. Zwei Matrosen gingen an der Tür zum Lazarett vorbei und plauderten über eine Frau, und mit einem Mal veränderten sich ihre Stimmen – mutierten, blähten sich auf – und steigerten sich zu einem schauerlichen Kreischen.
    »Nein!«, rief Pazel und sprang auf.
    »Pazaaaaaaaak?« , sagte Neeps.
    Doktor Rain drehte sich um und rief: »Qua-qua-quaaaaak?«
    Da war er wieder: der Druck auf sein Gehirn. Und der Geruch von Stechäpfeln erfüllte die Luft, der abscheulichste Geruch der Welt. Der Hirnkrampf hatte eingesetzt.
    Pazel ließ den völlig verblüfften Neeps einfach liegen und rannte aus dem Lazarett hinaus auf das grauenvolle Schiff und hinein in das ohrenbetäubende Raubvogelgeschrei. Er wusste nicht, wo er sich – für die nächsten vier Stunden oder noch länger! – verstecken sollte, aber verstecken musste er sich, und zwar sofort. Wenn man ihn für wahnsinnig hielt, würde man ihn – im besten Falle – mit dem Bilgenwasser ins Meer kippen.
    Auf dem unteren Batteriedeck drängten

Weitere Kostenlose Bücher