Windkämpfer
tief, dass die Haarsträhnen, die ihm noch geblieben waren, über den Boden schleiften.
»Gestatten Sie mir, Euer Ehren mitzuteilen, dass er nur teilweise Recht hat. Ich hörte eine Stimme, die mir Glück wünschte – sicherlich eine Geisterstimme! –, aber der Junge konnte sie nicht hören. Wenn er erschrak, dann nur, weil ich plötzlich aufgesprungen war.«
Rose schaute von dem Gefangenen zu Pazel und wieder zurück. Seine Augen wurden schmal, aber der Druck auf Pazels Hand wurde allmählich schwächer, und endlich ließ er sie los. Pazel trat zurück und rieb sich die schmerzenden Finger, und für einen Moment begegnete sein Blick dem des Ixchel. Der Gefangene, der eben noch so geschickt gelogen hatte, sah ihn nun voller Staunen und sogar – wie schrecklich in diesem verwüsteten Gesicht – voller Hoffnung an.
Es klopfte abermals an der Tür. Der Schiffsschreiber brachte Pazels neuen Mantel und die dazugehörige Mütze. Rose kam jäh wieder zu sich und schloss die Schublade mit dem Käfig. Dann ließ er Pazel den Mantel anprobieren, korrigierte seine Haltung und bläute ihm sogar noch ein, wie er die vornehme Familie anzusprechen hatte.
»›Exzellenz‹ genügt als Anrede für Botschafter Isiq. Seine Gemahlin sprichst du mit ›gnädige Frau‹ oder ›Lady Syrarys‹ an. Und zu dem Mädchen sagst du ›gnädiges Fräulein‹ – oder, wenn sie darauf bestehen sollte, ›Lady Tascha‹. Wenn er dir für das, was du seiner Meinung nach heute vollbracht hast, ein Lob ausspricht, bedankst du dich. Aber schwatze ihm nicht die Ohren voll. Wenn ich höre, dass du mit Seiner Exzellenz zu vertraulich geworden bist oder gar den Klugscheißer gespielt hast, wirst du dir wünschen, ich hätte dich Uskins überlassen.«
Pazel hörte kaum noch zu. Tascha, dachte er. Sie heißt also Tascha.
Rose drückte ihm die Mütze auf den Kopf. »Diese Kleider sind ein Geschenk von Botschafter Isiq. Du wirst sie immer tragen. Und nun geh und wasch dir das Gesicht, Junge, danach meldest du dich in seinem Salon.«
Pazel wandte sich zum Gehen, doch dann erhob Rose noch einmal die Stimme. Der Junge erstarrte und blieb vor der Tür stehen. »Ist das nicht seltsam, Pathkendle? – Von allen adeligen Herrschaften in diesem Reich erweist dir ausgerechnet der Eroberer von Ormael seine Gunst.«
* * *
Auf dem Hauptdeck ließ Elkstem die Bramsegel aufziehen. Das Winschen war beendet, Meilen von Warpleinen wurden eingeholt und schlängelten sich ins Innere der Chathrand zurück. Weit draußen in der Bucht grüßte ein Kriegsschiff mit einem Kanonenschuss, und auf dem Großen Schiff begannen sämtliche Hühner zu gackern. Pazel war auf der Suche nach Neeps. Wenn er nicht bald jemandem von diesem Vormittag erzählen konnte, würde er einfach platzen. Aber durfte er es wagen, von Steldak zu sprechen? Würde Diadrelu auch das schon als Verrat ansehen?
Er hatte gehört, wie Neeps von Swellows in die Segelkoje abkommandiert wurde, um beim Flicken der Reservesegel zu helfen. Aber dort war er nicht. Pazel beugte sich zu Reyast, dem schüchternen Stotterer, und fragte ihn nach seinem Freund. Reyast hatte den Schoß voller Segeltuch und blinzelte überrascht.
»P-P-P-az-zel. D-du h-hast j-ja einen n-n-neuen M-M-M …«
»Davon erzähle ich dir später, Reyast. Wo kann ich denn Neeps finden?«
»L-L-Lazarett.«
»Im Lazarett! Wieso? Was ist denn mit ihm passiert?«
Es dauerte Minuten, bis Reyast endlich herausbrachte, dass Neeps grün und blau geschlagen war. Ein neuer Teerjunge, der erst gestern an Bord gekommen war, hatte ihn in eine Luke gestoßen. Der Neuling sei ein ›üb-b-bler K-Kunde‹, erklärte Reyast: Älter und stärker als alle anderen, Peytr und Dastu vielleicht ausgenommen, und er führe sich auf, als wären ihm alle kleineren Teerjungen unterstellt. Fiffengurt hatte ihm keinen besonderen Rang zugestanden, das hatte ihn erbost, und nun rächte er sich an den Jüngeren. Als Neeps durch das Zwischendeck ging, um seinen Turban zu holen, hatte ihm der neue Junge befohlen, die Seekiste mit ihm zu tauschen – der Deckel der seinen schloss nicht richtig. Neeps hatte ihn ausgelacht. Für einen Kampf waren zu viele Matrosen in der Nähe gewesen (was laut Reyast für Neeps ein Glück war), doch dann hatte ihn der größere Teerjunge bei erster Gelegenheit von hinten in eine Luke geschubst. Neeps war ins Zwischendeck gestürzt – und wäre beinahe auf einem Säugling gelandet.
Pazel hatte für heute genügend
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