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Winesburg, Ohio (German Edition)

Winesburg, Ohio (German Edition)

Titel: Winesburg, Ohio (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherwood Anderson
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Pferd an, stieg ab und forderte David auf, es ihm nachzutun. Die beiden kletterten über einen Zaun und gingen am Ufer des Bachs entlang. Der Junge achtete nicht auf das Gemurmel seines Großvaters, sondern rannte neben ihm her und fragte sich, was wohl geschehen werde. Als ein Kaninchen aufsprang und durch den Wald davonrannte, klatschte er vor Freude in die Hände und tanzte herum. Er betrachtete die hohen Bäume und bedauerte, dass er kein kleines Tier war und nicht ohne Angst hoch in die Lüfte klettern konnte. Er bückte sich, hob ein Steinchen auf und warf es über den Kopf seines Großvaters hinweg in ein Gebüsch. «Wach auf, Tierchen. Klettere bis in die Baumwipfel hinauf», schrie er mit seiner schrillen Stimme.
    Jesse Bentley schritt gebeugten Haupts und innerlich brodelnd unter den Bäumen dahin. Sein Ernst rührte den Jungen, und er wurde schweigsam und ein wenig besorgt. In dem alten Mann war die Vorstellung gereift, dass er Gott nun ein Wort oder ein Zeichen vom Himmel entlocken könne, dass Junge und Mann auf Knien an einer einsamen Stelle im Wald das Wunder, auf das er gewartet hatte, fast unausweichlich machen würde.
«An einer solchen Stelle war es, wo dieser andere David seine Schafe hütete, als sein Vater kam und ihm sagte, er solle zu Saul gehen», murmelte er.
    Er packte den Jungen recht grob an der Schulter und stieg über einen umgestürzten Baum, und als er an eine freie Stelle zwischen den Bäumen gelangt war, fiel er auf die Knie und begann, mit lauter Stimme zu beten.
    Ein Entsetzen, wie er es noch nie erlebt hatte, ergriff von David Besitz. Er kauerte an einem Baum und blickte auf den Mann vor ihm auf dem Boden, und da begannen ihm die Knie zu zittern. Ihm war, als wäre da nicht nur sein Großvater, sondern noch ein anderer, einer, der ihm etwas tun könnte, einer, der nicht freundlich, sondern gefährlich und brutal sein könnte. Er weinte, langte auf den Boden und hob ein Stöckchen auf, das er fest umklammert hielt. Als Jesse Bentley, in seinen eigenen Vorstellungen versunken, plötzlich aufstand und auf ihn zu ging, wuchs sein Entsetzen, bis er am ganzen Körper zitterte. In dem Wald schien über allem eine intensive Stille zu liegen, und aus dieser Stille heraus schallte unvermittelt die harsche und drängende Stimme des alten Mannes. Jesse packte den Jungen an den Schultern, wandte das Gesicht zum Himmel und brüllte. Die gesamte linke Seite seines Gesichts zuckte, ebenso seine Hand auf der Schulter des Jungen. «Gib mir ein Zeichen, Gott!», schrie er. «Hier stehe ich mit dem Jungen David. Komm aus dem Himmel zu mir herab und mach mir Deine Gegenwart offenbar.»
    Mit einem angstvollen Schrei drehte David sich weg,
schüttelte die Hand ab, die ihn hielt, und rannte durch den Wald davon. Er konnte nicht glauben, dass der Mann, der das Gesicht emporhob und mit rauer Stimme zum Himmel schrie, sein Großvater war. Der Mann sah nicht aus wie sein Großvater. Die Überzeugung, dass etwas Seltsames und Schreckliches geschehen, dass durch ein Wunder ein neuer und gefährlicher Mensch in den Körper des freundlichen alten Mannes gefahren war, ergriff von ihm Besitz. Immer weiter rannte er schluchzend den Hang hinab. Als er über eine Baumwurzel fiel und sich im Fallen den Kopf anschlug, stand er auf und wollte weiter rennen. Doch sein Kopf schmerzte so sehr, dass er schließlich umfiel und still dalag, aber erst nachdem Jesse ihn zum Wagen getragen hatte und er erwachte, als die Hand des alten Mannes ihm zärtlich über den Kopf strich, verließ ihn das Entsetzen. «Bring mich fort. In dem Wald dort ist ein fürchterlicher Mann», erklärte er bestimmt, während Jesse über die Baumwipfel hinwegblickte und sein Mund erneut zu Gott rief. «Was habe ich getan, dass Du mir nicht gewogen bist», flüsterte er leise, und wiederholte die Worte immer wieder, während er schnell die Straße entlangfuhr, den aufgeplatzten und blutenden Kopf des Jungen zärtlich an die Schulter gedrückt.

III
Kapitulation
    Die Geschichte von Louise Bentley, die Mrs John Hardy wurde und mit ihrem Mann ein Backsteinhaus in der Elm Street in Winesburg bewohnte, ist eine Geschichte des Missverstehens.
    Bevor man Frauen wie Louise verstehen und ihnen das Leben lebenswert machen kann, will vieles getan sein. Wohlüberlegte Bücher wollen geschrieben, wohlüberlegte Leben von Menschen um sie herum gelebt sein.
    Tochter einer zarten und überarbeiteten Mutter und eines impulsiven, harten, phantasievollen Vaters, der

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