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Winesburg, Ohio (German Edition)

Winesburg, Ohio (German Edition)

Titel: Winesburg, Ohio (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherwood Anderson
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Ställen, auf den Feldern oder auf den Fahrten mit seinem Großvater von Farm zu Farm ins Bett ging, wollte er jeden im Haus umarmen. Erschien nicht sofort Sherley Bentley, die Frau, die jeden Abend kam und sich neben seinem Bett auf den Boden setzte, ging er an den Treppenabsatz und schrie, und seine junge Stimme schallte durch die schmalen Flure, in denen so lange eine Tradition der Stille geherrscht hatte. Am Morgen, wenn er erwachte und ruhig im Bett lag, erfüllten ihn die Laute, die durch die Fenster drangen, mit Freude. Schaudernd dachte er an das Leben in dem Haus in Winesburg und an die zornige Stimme seiner Mutter, vor der er immer gezittert hatte. Dort auf dem Land waren alle Laute freundlich. Wenn er im Morgengrauen erwachte, erwachte auch der Hof hinterm Haus. Im Haus regten sich die Menschen. Eliza Stoughton, das beschränkte Mädchen, wurde
von einem Knecht in die Rippen gestoßen und kicherte geräuschvoll, auf einem fernen Feld muhte eine Kuh und erhielt vom Vieh in den Ställen Antwort, und einer der Knechte sprach in scharfem Ton mit dem Pferd, das er an der Stalltür striegelte. David sprang aus dem Bett und lief ans Fenster. Alle, die da unterwegs waren, regten ihn an, und er fragte sich, was wohl seine Mutter in dem Haus in der Stadt gerade tat.
    Aus den Fenstern seines Zimmers hatte er keinen direkten Blick auf den Hof, wo die Knechte sich nun alle zur morgendlichen Arbeit eingefunden hatten, die Stimmen der Männer und das Wiehern der Pferde hörte er jedoch. Lachte einer der Männer, lachte auch er. Aus dem offenen Fenster gelehnt, schaute er in einen Obstgarten, wo eine fette Sau mit einer Schar winziger Frischlinge im Schlepp herumlief. Jeden Morgen zählte er die Schweine. «Vier, fünf, sechs, sieben», sagte er langsam, befeuchtete den Finger und malte auf das Fenstersims senkrechte Striche. David beeilte sich, Hose und Hemd anzuziehen. Ihn ergriff ein fiebriges Verlangen, nach draußen zu kommen. Jeden Morgen machte er auf der Treppe einen solchen Lärm, dass Tante Callie, die Haushälterin, erklärte, er wolle ja das Haus niederreißen. Nachdem er durch das geräumige alte Haus gerannt war, dabei Türen hinter sich zuknallend, kam er auf den Hof und blickte sich voller staunender Erwartung um. Ihm schien, dass sich an einem solchen Ort während der Nacht ungeheure Dinge ereignet haben konnten. Die Knechte sahen ihn an und lachten. Henry Strader, ein alter Mann, der auf der Farm lebte, seit Jesse in ihren Besitz gelangt
war, und der vor Davids Zeit nie als Witzbold in Erscheinung getreten war, machte nun jeden Morgen denselben Witz. Das belustigte David so sehr, dass er lachte und in die Hände klatschte. «Komm mal her und sieh dir das an», rief der Alte. «Großvater Jesses weiße Stute hat den schwarzen Strumpf zerrissen, den sie am Fuß trägt.»
    Den ganzen langen Sommer hindurch fuhr Jesse Bentley Tag um Tag von Farm zu Farm und hinab ins Tal des Wine Creek, und sein Enkel war immer dabei. Sie fuhren mit einem bequemen alten Phaeton 8 , der von dem weißen Pferd gezogen wurde. Der alte Mann kratzte sich an seinem dünnen weißen Bart und sprach zu sich von seinen Plänen zur Steigerung der Produktivität der Felder, die sie besuchten, und von Gottes Anteil an allen Plänen, die der Mensch machte. Manchmal sah er dabei David an und lächelte glücklich, und dann gab es wieder lange Zeiten, in denen er die Existenz des Jungen zu vergessen schien. Mehr und mehr kehrten seine Gedanken nun täglich zu den Träumen zurück, die ihn damals erfüllt hatten, als er aus der Stadt kam, um auf dem Land zu leben. Eines Nachmittags verblüffte er David, indem er zuließ, dass seine Träume ganz von ihm Besitz ergriffen. Mit dem Jungen als Zeugen durchlief er eine Zeremonie und führte einen Zwischenfall herbei, der die Kameradschaft, die zwischen ihnen wuchs, beinahe zerstört hätte.
    Jesse und sein Enkel fuhren einige Meilen vom Haus entfernt durch einen abgelegenen Teil des Tals. Ein Wald reichte bis zur Straße hin, und durch den Wald
schlängelte sich der Wine Creek über Steine hinweg zu einem fernen Fluss. Den ganzen Tag über war Jesse nachdenklicher Stimmung gewesen, und nun begann er zu sprechen. Im Geist kehrte er zurück zu der Nacht, als ihn die Vorstellung ängstigte, ein Riese könnte kommen, ihn überfallen und seinen Besitz rauben, und wie in jener Nacht, als er durch die Felder lief und nach einem Sohn schrie, erregte er sich bis an die Grenzen des Wahnsinns. Er hielt das

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