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Winesburg, Ohio (German Edition)

Winesburg, Ohio (German Edition)

Titel: Winesburg, Ohio (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherwood Anderson
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«Er ist ein kleiner Mann und wird ohnehin bekommen, was er will», sagte sie in scharfem Ton. «Wäre es eine kleine Frau geworden, gäbe es nichts auf der Welt, was ich nicht für sie tun würde.»

IV
Entsetzen
    Als David Hardy ein großer Junge von fünfzehn Jahren war, erlebte er so wie seine Mutter ein Abenteuer, das den gesamten Verlauf seines Lebens änderte und ihn aus seiner stillen Ecke in die Welt hinausschickte. Die Hülse seiner Lebensumstände war zerbrochen, und er war gezwungen, herauszutreten. Er verließ Winesburg, und niemand dort sah ihn jemals wieder. Nach seinem Verschwinden starben seine Mutter wie auch sein Großvater, und sein Vater wurde sehr reich. Der gab viel Geld dafür aus, seinen Sohn ausfindig zu machen, aber das gehört nicht in diese Geschichte.
    Es geschah im Spätherbst eines für die Bentley-Farmen ungewöhnlichen Jahres. Überall hatte es reiche Ernte gegeben. Im Frühjahr hatte Jesse einen Teil von einem langen Streifen schwarzen Sumpflands erworben, das im Tal des Wine Creek lag. Er hatte das Land zu einem niedrigen Preis erhalten, dann aber eine große Summe dafür ausgegeben, es urbar zu machen. Große Gräben waren auszuheben und Tausende Ziegel zu verlegen. Die Farmer aus der Nachbarschaft schüttelten ob dieser Ausgabe den Kopf. Einige lachten und hofften, Jesse werde bei dem Unternehmen schwere Verluste erleiden, doch der alte Mann setzte schweigend seine Arbeit fort und sagte nichts.
    Als das Land drainiert war, pflanzte er Kohl und Zwiebeln darauf an, und wieder lachten die Nachbarn. Die Ernte war jedoch gewaltig und erzielte hohe Preise. In dem einen Jahr machte Jesse genug Geld,
um alle Kosten für die Aufbereitung des Lands zu begleichen, und hatte auch noch einen Überschuss, der es ihm ermöglichte, zwei weitere Farmen zu erwerben. Er jubilierte und konnte seine Freude nicht verbergen. Zum ersten Mal überhaupt, seit er in den Besitz dieser Farmen gekommen war, ging er mit einem Lächeln im Gesicht unter seine Leute.
    Jesse kaufte viele neue Maschinen, um die Arbeitskosten zu reduzieren, sowie alle verbliebenen Morgen in dem Streifen schwarzen, fruchtbaren Sumpflands. Eines Tages fuhr er nach Winesburg und kaufte für David ein Fahrrad und einen neuen Anzug, und seinen zwei Schwestern gab er Geld, damit sie zu einer religiösen Versammlung nach Cleveland, Ohio, fahren konnten.
    Im Herbst jenes Jahres, als der Frost kam und die Bäume der Wälder am Wine Creek goldbraun waren, verbrachte David jede Minute, die er nicht in der Schule sein musste, im Freien. Allein oder mit anderen Jungen ging er jeden Nachmittag in die Wälder, um Nüsse zu sammeln. Die anderen Jungen vom Land, die meisten Söhne von Knechten auf den Bentley-Farmen, hatten Flinten, mit denen sie Kaninchen und Eichhörnchen jagten, aber mit denen zog David nicht umher. Er bastelte sich aus Gummibändern und einem gegabelten Stock eine Schleuder und ging allein los, um Nüsse zu sammeln. Dabei kamen ihm Gedanken. Ihm wurde bewusst, dass er nun beinahe ein Mann war, und er fragte sich, was er mit seinem Leben machen sollte, doch bevor sie noch zu etwas führten, verflogen die Gedanken, und er war wieder ein Junge. Einmal tötete
er ein Eichhörnchen, das auf einem der tieferen Äste eines Baumes saß und ihn anschnatterte. Das Eichhörnchen in der Hand, rannte er nach Hause. Eine der Bentley-Schwestern kochte das Tierchen, und er aß es mit großem Genuss. Das Fell heftete er an ein Brett und hängte das Brett mit einer Schnur ans Fenster seines Zimmers.
    Das gab seinen Gedanken eine neue Richtung. Danach ging er nicht mehr ohne die Schleuder in der Tasche in den Wald, und er verbrachte Stunden damit, auf Phantasietiere zu schießen, die zwischen den braunen Blättern in den Bäumen verborgen waren. Gedanken an sein nahendes Mannesalter verflogen, und er war’s zufrieden, wieder ein Junge mit den Regungen eines Jungen zu sein.
    Eines Samstagmorgens, er wollte sich gerade wieder, die Schleuder in der Tasche und einen Beutel für die Nüsse über der Schulter, in den Wald aufmachen, hielt sein Großvater ihn zurück. In den Augen des alten Mannes lag der angespannte, ernsthafte Blick, der David immer ein wenig Angst einjagte. Dann schauten Jesse Bentleys Augen nicht geradeaus, sondern schweiften und schienen auf nichts Bestimmtes gerichtet. Es war, als trennte ein unsichtbarer Vorhang den Mann von der ganzen übrigen Welt. «Ich möchte, dass du mit mir kommst», sagte er knapp, und sein Blick ging

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