Winesburg, Ohio (German Edition)
über den Kopf des Jungen hinweg in den Himmel. «Wir haben heute etwas Wichtiges zu tun. Wenn du magst, kannst du den Beutel für die Nüsse mitnehmen. Es bleibt sich gleich, und außerdem gehen wir ohnehin in den Wald.»
Jesse und David machten sich in dem alten Phaeton, der von dem weißen Pferd gezogen wurde, vom Farmhaus der Bentleys auf. Nachdem sie lange schweigend gefahren waren, hielten sie an einem Feld an, auf dem eine Herde Schafe graste. Unter den Schafen befand sich ein Lamm, das außerhalb der Saison geboren war, und dieses fingen David und sein Großvater und schnürten es so fest zusammen, dass es wie eine kleine weiße Kugel aussah. Sie fuhren weiter, und Jesse ließ David das Lamm auf den Armen halten. «Ich habe es gestern entdeckt, und es hat mich an etwas erinnert, was ich schon lange machen wollte», sagte er, und wieder blickte er mit dem schweifenden, unsteten Blick über den Kopf des Jungen hinweg.
Nach dem Hochgefühl, in dem sich der Farmer auf sein erfolgreiches Jahr hin befunden hatte, ergriff eine andere Stimmung von ihm Besitz. Lange Zeit empfand er ein Gefühl von tiefer Demut und Andacht. Wieder ging er des Nachts allein umher und dachte an Gott, und dabei brachte er erneut seine Gestalt mit denen aus den alten Zeiten in Verbindung. Unter den Sternen kniete er auf dem nassen Gras nieder und erhob die Stimme im Gebet. Er hatte sich nun entschieden, wie die Männer, deren Geschichten die Seiten der Bibel füllten, Gott ein Opfer darbringen zu wollen. «Ich habe diese überreiche Ernte erhalten, und Gott hat mir auch einen Jungen geschickt, der David heißt», flüsterte er bei sich. «Vielleicht hätte ich es schon lange tun sollen.» Er bedauerte, dass ihm diese Idee nicht schon vor der Geburt seiner Tochter Louise gekommen war, und dachte, wenn er jetzt an einer einsamen Stelle im
Wald einen Haufen Brennholz aufschichtete und den Leib eines Lamms als Brandopfer darböte, werde Gott vor ihm erscheinen und ihm eine Botschaft bringen.
Je länger er darüber nachdachte, je mehr dachte er auch an David, und seine leidenschaftliche Eigenliebe war teilweise vergessen. «Es wird Zeit, dass der Junge sich Gedanken macht, in die Welt hinauszugehen, und die Botschaft wird dann eine sein, die ihn betrifft», befand er. «Gott wird ihm einen Weg ebnen. Er wird mir sagen, welchen Platz David in der Welt einnehmen wird und wann er sich auf die Reise machen soll. Es ist richtig, dass der Junge dabei ist. Wenn ich Glück habe und es erscheint ein Engel Gottes, wird David die Schönheit und Herrlichkeit Gottes offenbar werden. Es wird auch aus ihm einen wahren Mann Gottes machen.»
Schweigend fuhren Jesse und David die Straße entlang, bis sie an die Stelle kamen, wo Jesse einst Gott angefleht und seinen Enkel verängstigt hatte. Der Morgen war hell und heiter gewesen, nun aber wehte ein kalter Wind, und Wolken verbargen die Sonne. Als David die Stelle erkannte, an die sie gelangt waren, zitterte er vor Furcht, und als sie an der Brücke anhielten, wo der Bach zwischen den Bäumen herabfloss, wollte er vom Phaeton springen und davonlaufen.
Ein Dutzend Fluchtpläne schossen David durch den Kopf, doch als Jesse das Pferd anhielt und über den Zaun in den Wald stieg, folgte er ihm. «Es ist töricht, sich zu fürchten. Es wird nichts geschehen», sagte er sich, als er, das Lamm auf den Armen, mitging. In der Hilflosigkeit des kleinen Tiers, das er so fest in den
Armen hielt, lag etwas, was ihm Mut gab. Er fühlte den schnellen Herzschlag des Tiers, und das ließ sein Herz weniger schnell schlagen. Während er flink hinter seinem Großvater herging, löste er den Strick, mit dem die vier Beine des Lamms zusammengebunden waren. «Sollte etwas passieren, rennen wir zusammen fort», dachte er.
Nachdem sie sich ein weites Stück von der Straße entfernt hatten, blieb Jesse im Wald auf einer Lichtung zwischen den Bäumen stehen, wo eine Schneise, bewachsen mit kleinem Buschwerk, vom Bach herauflief. Er schwieg noch immer, machte sich aber alsbald daran, einen Haufen trockener Zweige aufzuschichten und sogleich zu entzünden. Der Junge saß, das Lamm in den Armen, auf der Erde. Seine Phantasie füllte nun jede Bewegung des alten Mannes mit Bedeutung, und von Minute zu Minute fürchtete er sich mehr. «Ich muss das Blut des Lamms auf den Kopf des Jungen tun», murmelte Jesse, als die Zweige gierig loderten, und er zog ein langes Messer aus der Tasche und schritt rasch über die Lichtung auf David
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