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Winesburg, Ohio (German Edition)

Winesburg, Ohio (German Edition)

Titel: Winesburg, Ohio (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherwood Anderson
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würden.»
    Joe Welling wurde immer aufgeregter und drängte den jungen Reporter an die Fassade der Futterhandlung. Er wirkte gedankenverloren, verdrehte die Augen und fuhr sich mit einer schmalen, nervösen Hand durch die Haare. Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, und seine Goldzähne blitzten. «Ziehen Sie mal Ihr Notizbuch heraus», befahl er. «Sie haben doch einen kleinen Schreibblock in der Tasche, oder? Wusste ich’s doch. Notieren Sie sich das mal. Es ist mir neulich eingefallen. Nehmen wir Verfall. Was also ist Verfall? Er ist Feuer. Er verbrennt Holz und andere Dinge. Daran haben Sie noch gar nicht gedacht? Natürlich nicht. Dieser Gehsteig und die Futterhandlung, die Bäume da an der Straße – alle brennen sie. Sie verbrennen. Der Verfall setzt sich nämlich immer fort. Er hört nicht auf. Wasser und Farbe können ihn nicht aufhalten. Ist ein Gegenstand aus Eisen, was dann? Er rostet. Auch das ist Feuer. Die Welt steht in Flammen. Fangen Sie Ihren Artikel in der Zeitung so an. Schreiben Sie in Großbuchstaben lediglich: ‹DIE WELT STEHT IN FLAMMEN.› Das wird Aufmerksamkeit erregen. Dann wird man sagen, Sie seien ein Schlauer. Ist mir egal. Ich beneide Sie nicht. Mir ist diese Idee einfach
so zugeflogen. Bei mir würde eine Zeitung brummen. Das müssen Sie zugeben.»
    Joe Welling drehte sich rasch um und lief eilig davon. Nach einigen Schritten blieb er stehen und schaute zurück.«Ich bleibe an Ihnen dran», sagte er. «Ich werde einen richtig tollen Kerl aus Ihnen machen. Ich sollte selber eine Zeitung auf die Beine stellen, das sollte ich tun. Ich wäre ein Genie. Das weiß jeder.»
    Als George Willard ein volles Jahr beim «Winesburg Eagle» war, widerfuhren Joe Welling vier Dinge. Seine Mutter starb, er zog im «New Willard House» ein, er geriet in eine Liebesgeschichte, und er organisierte den «Winesburg Baseball Club».
    Den Baseballclub organisierte Joe Welling, weil er Trainer sein wollte, und in dieser Stellung erwarb er sich schließlich den Respekt seiner Mitbürger. «Er ist ein Phänomen», erklärten sie, nachdem Joes Team das von Medina County vom Platz gefegt hatte. «Er bringt alle dazu, dass sie zusammenarbeiten. Ihr werdet’s sehen.»
    Auf dem Baseballplatz stand Joe Welling an der ersten Base, und er zitterte am ganzen Körper vor Erregung. Unwillkürlich waren alle Spieler auf ihn fixiert. Das verwirrte den gegnerischen Pitcher.
    «Jetzt! Jetzt! Jetzt! Jetzt!», schrie der erregte Mann. «Seht her! Seht her! Seht auf meine Finger! Seht auf meine Hände! Seht auf meine Füße! Seht auf meine Augen! Lasst uns hier zusammenarbeiten! Seht mich an! In mir seht ihr alle Bewegungen des Spiels! Arbeitet mit mir! Arbeitet mit mir! Seht mich an! Seht mich an! Seht mich an!»
    Waren Läufer des Winesburger Teams an den Bases, wirkte Joe Welling wie beseelt. Bevor sie wussten, was über sie gekommen war, fixierten die Base-Läufer den Mann, verließen die Bases, rückten vor, wichen zurück wie von einer unsichtbaren Schnur gehalten. Auch die Spieler der gegnerischen Mannschaft fixierten Joe. Sie waren fasziniert. Sie sahen zu ihm hin, und dann schleuderten sie, als wollten sie einen Bann brechen, der über ihnen lag, den Ball wild umher, und die Läufer des Winesburger Teams rannten zu einer Serie schriller, tierhafter Schreie des Trainers zur Homebase.
    Joe Wellings Liebesaffäre hielt Winesburg in Atem. Als sie begann, flüsterte alles und schüttelte den Kopf. Versuchten die Leute zu lachen, klang das Lachen gezwungen und unnatürlich. Joe verliebte sich in Sarah King, eine schmale, traurig wirkende Frau, die mit Vater und Bruder in einem Backsteinhäuschen lebte, das gegenüber dem Eingang zum Winesburger Friedhof stand.
    Die beiden Kings, Edward der Vater und Tom der Sohn, waren in Winesburg nicht beliebt. Sie galten als stolz und gefährlich. Sie waren von irgendwoher im Süden nach Winesburg gekommen und betrieben am Trunion Pike eine Mostpresse. Tom King, so hieß es, habe, bevor er nach Winesburg kam, einen Mann getötet. Er war siebenundzwanzig Jahre alt und ritt auf einem grauen Pony durch die Stadt. Außerdem hatte er einen langen, gelben Schnurrbart, der ihm über die Zähne hing, und stets einen schweren, gefährlich aussehenden Gehstock dabei. Einmal tötete er mit dem Stock einen Hund. Der Hund gehörte Win Pawsey,
dem Schuhhändler, und stand schwanzwedelnd auf dem Gehsteig. Tom King tötete ihn mit einem Hieb. Er wurde verhaftet und zahlte eine Strafe

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