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Winesburg, Ohio (German Edition)

Winesburg, Ohio (German Edition)

Titel: Winesburg, Ohio (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherwood Anderson
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grollte weiter, und Blitze eines Wärmegewitters erhellten den Himmel im Osten. Der Garten, der so rätselhaft und riesig gewesen war, ein Ort, der mit Seth neben ihr die Kulisse seltsamer und wundervoller Abenteuer hätte werden können, schien nun nicht mehr als ein gewöhnlicher Winesburger Garten, in seinen Konturen durchaus klar abgrenzt.
    «Was willst du dort tun?», flüsterte sie.
    Seth drehte sich auf der Bank halb zu ihr, mühte sich, in dem Dunkel ihr Gesicht zu sehen. Er fand sie unendlich verständiger und freimütiger als George Willard und war froh, dass er von seinem Freund weggegangen war. Die Ungeduld mit der Stadt, die er verspürt hatte, kehrte nun zurück, und er versuchte, ihr davon zu erzählen.«Alle reden und reden», begann er. «Ich habe es satt. Ich werde etwas tun, mir eine Arbeit suchen, bei der Gerede nicht zählt. Vielleicht werde ich ja nur Mechaniker in einer Werkstatt. Ich weiß es nicht. Ich glaube, es interessiert mich auch nicht weiter. Ich will einfach arbeiten und still sein. Mehr habe ich nicht im Sinn.»
    Seth erhob sich von der Bank und streckte die Hand aus. Er wollte das Treffen nicht beenden, wusste aber auch nicht, was er noch sagen sollte. «Wir sehen uns jetzt zum letzten Mal», flüsterte er.
    Eine Gefühlswelle überschwemmte Helen. Sie legte Seth die Hand auf die Schulter und zog ihn zu ihrem aufwärts gerichteten Gesicht herab. Ihre Handlung war eine der reinen Zuneigung und des schneidenden Bedauerns darüber, dass ein vages Abenteuer, das im
Geist der Nacht gegenwärtig gewesen war, nun nie mehr verwirklicht wurde. «Dann gehe ich jetzt mal lieber», sagte sie und ließ die Hand schwer an die Seite fallen. Ihr kam ein Gedanke. «Geh nicht mit mir, ich will allein sein», sagte sie. «Geh du und rede mit deiner Mutter. Am besten machst du das jetzt gleich.»
    Seth zögerte, und wie er noch dastand und wartete, rannte das Mädchen durch die Hecke davon. Der Wunsch, ihr nachzulaufen, überkam ihn, doch er stand nur da und schaute, perplex und verwirrt von ihrem Tun, so wie er von allem Leben in der Stadt, aus der sie gekommen war, perplex und verwirrt gewesen war. Langsam ging er zum Haus, blieb im Schatten eines Baumes stehen und betrachtete seine Mutter, die an einem erhellten Fenster saß und eifrig nähte. Das Gefühl von Einsamkeit, das ihn früher am Abend heimgesucht hatte, kehrte nun wieder und verdüsterte seine Gedanken an das Abenteuer, das er soeben durchlebt hatte. «Ha!», rief er aus und sah in die Richtung, die Helen White eingeschlagen hatte. «Genauso wird es sich erweisen. Sie wird wie die Übrigen sein. Wahrscheinlich sieht sie mich jetzt schon komisch an.» Er blickte zu Boden und dachte über diesen Gedanken nach. «Sie wird in meiner Gegenwart verlegen sein und sich seltsam fühlen», flüsterte er bei sich. «So wird es sein. So wird sich alles erweisen. Wenn es darum geht, jemanden zu lieben, werde niemals ich es sein. Es wird ein anderer sein – ein Dummkopf – einer, der viel redet – einer wie dieser George Willard.»

TANDY
    Bis zu ihrem siebten Lebensjahr bewohnte sie ein altes, ungestrichenes Haus an einem unbefahrenen Weg, der vom Trunion Pike abzweigte. Ihr Vater widmete ihr nur wenig Aufmerksamkeit, und ihre Mutter war tot. Der Vater verbrachte seine Zeit damit, über Religion zu reden und nachzudenken. Er bezeichnete sich als Agnostiker und war so damit beschäftigt, die Vorstellungen von Gott, die sich in den Köpfen seiner Nachbarn eingenistet hatten, zu zerstören, dass er gar nicht sah, wie Gott sich in dem kleinen Kind offenbarte, das, halb vergessen, hie und da von der Freigebigkeit der Verwandten seiner toten Mutter lebte.
    Ein Fremder kam nach Winesburg und sah in dem Kind, was dessen Vater nicht sah. Er war ein großer, rothaariger junger Mann, der fast immer betrunken war. Manchmal saß er mit Tom Hard, dem Vater, auf einem Stuhl vor dem «New Willard House». Wenn Tom redete, erklärte, es könne gar keinen Gott geben, lächelte der Fremde und zwinkerte den Umstehenden zu. Er und Tom wurden Freunde und waren viel zusammen.
    Der Fremde war der Sohn eines reichen Kaufmanns aus Cleveland und war mit einer Mission nach Winesburg gekommen. Er wollte sich von seinen Trinkgewohnheiten
heilen und glaubte, indem er seinen Kumpanen in der Stadt entfloh und in einer ländlichen Gemeinde lebte, hätte er bessere Chancen im Kampf mit dem Verlangen, das ihn zerstörte.
    Sein Aufenthalt in Winesburg blieb ohne Erfolg. Die Ödnis

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