Winesburg, Ohio (German Edition)
Vaters, weil er gerade zur Hand war und heiraten wollte, als sie der Entschluss zu heiraten überkam. Wie die meisten Mädchen dachte sie, die Ehe werde das Angesicht des Lebens ändern. Falls sie Zweifel am Erfolg ihrer Ehe mit Tom hatte, wischte sie sie beiseite. Ihr Vater war krank und dem Tode nahe, und sie war verwirrt wegen der Bedeutungslosigkeit einer Affäre, die sie gerade gehabt hatte. Andere Mädchen ihres Alters in Winesburg heirateten Männer, die sie schon kannte, Verkäufer in Lebensmittelläden
oder junge Farmer. Abends spazierten sie mit ihren Männern auf der Main Street, und wenn sie ihr begegneten, lächelten sie glücklich. Sie glaubte zunehmend, dass der Umstand der Ehe tatsächlich mit einer verborgenen Bedeutsamkeit erfüllt sein könnte. Sprach sie mit jungen Ehefrauen, so redeten diese leise und schüchtern. «Es ändert alles, einen eigenen Mann zu haben», sagten sie.
Am Vorabend ihrer Hochzeit hatte das verwirrte Mädchen ein Gespräch mit seinem Vater. Später fragte sie sich, ob die Stunden allein mit ihrem kranken Vater sie nicht zu dem Entschluss geführt hatten zu heiraten. Der Vater sprach über sein Leben und riet der Tochter, sich nicht ebenfalls zu so einem Durcheinander verleiten zu lassen. Er schimpfte auf Tom Willard, und das führte dazu, dass Elizabeth den Sekretär verteidigte. Der Kranke wurde erregt und versuchte aufzustehen. Als sie ihn nicht umherlaufen ließ, beschwerte er sich. «Nie hat man mich allein gelassen», sagte er. «Obwohl ich hart gearbeitet habe, hat sich das Hotel nie bezahlt gemacht. Noch jetzt bin ich der Bank Geld schuldig. Das wirst du sehen, wenn ich nicht mehr bin.»
Die Stimme des alten Mannes klang angespannt vor Ernst. Da er sich nicht erheben konnte, zog er den Kopf des Mädchens zu sich herab. «Es gibt einen Ausweg», flüsterte er. «Heirate Tom Willard nicht und auch sonst keinen aus Winesburg. In einem Blechkasten in meiner Truhe sind achthundert Dollar. Nimm sie und geh fort.»
Erneut klang die Stimme des kranken Mannes mürrisch.«Du musst es mir versprechen», verkündete er.
«Wenn du mir schon nicht versprichst, nicht zu heiraten, dann gib mir wenigstens dein Wort, dass du Tom nie von diesem Geld erzählst. Es ist meins, und wenn ich es dir gebe, habe ich das Recht, das zu fordern. Verstecke es. Es soll dich für mein Versagen als Vater entschädigen. Irgendwann könnte es sich für dich als Tür erweisen, als große offene Tür. Komm jetzt, ich sage dir, ich sterbe bald, gib mir dein Versprechen.»
Elizabeth, mit einundvierzig Jahren eine müde, verhärmte Frau, saß in Doktor Reefys Praxis auf einem Stuhl am Ofen und schaute zu Boden. An einem kleinen Schreibtisch bei der Tür saß der Arzt. Seine Hände spielten mit einem Bleistift, der auf dem Tisch lag. Elizabeth erzählte von ihrem Leben als verheiratete Frau. Sie wurde unpersönlich und vergaß ihren Mann, sprach von ihm wie von einer Marionette, um ihrer Erzählung Gewicht zu verleihen. «Und dann war ich verheiratet, und es kam gar nichts dabei heraus», sagte sie bitter. «Sobald ich drinsteckte, bekam ich Angst. Vielleicht wusste ich schon vorher zu viel, vielleicht habe ich in meiner ersten Nacht mit ihm aber auch zu viel erfahren. Ich weiß es nicht mehr.
Wie töricht ich doch war. Als Vater mir das Geld gab und versuchte, mir den Gedanken an die Heirat auszureden, wollte ich nicht hören. Ich dachte daran, was die anderen Mädchen, die verheiratet waren, darüber gesagt hatten, und auch ich wollte die Ehe. Ich wollte nicht Tom, ich wollte die Ehe. Als Vater einschlief, beugte ich mich aus dem Fenster und dachte an das Leben, das ich geführt hatte. Ich wollte keine
schlechte Frau sein. In der Stadt erzählt man sich lauter Geschichten über mich. Ich bekam sogar Angst, Tom könnte es sich anders überlegen.»
Die Stimme der Frau bebte nun vor Erregung. Doktor Reefy, der sie, ohne zu merken, was geschah, schon liebte, sah ein merkwürdiges Trugbild. Er glaubte, beim Reden verändere sich der Körper der Frau und sie werde jünger, aufrechter, kräftiger. Als er das Trugbild nicht abschütteln konnte, gab er ihm eine professionelle Wendung. «Dieses Reden, das ist für ihren Körper ebenso gut wie für ihren Geist», murmelte er.
Die Frau erzählte nun von einem Vorfall, der sich eines Nachmittags mehrere Monate nach ihrer Heirat zugetragen hatte. Ihre Stimme wurde fester. «Am späten Nachmittag fuhr ich allein aus», sagte sie. «Ich hatte einen Buggy und
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