Winesburg, Ohio (German Edition)
Schluck aus der Flasche und legte sich dann ins Gras. Er dachte an manchen Morgen in Winesburg, an die taunassen Steine auf der Kieseinfahrt vor Bankier Whites Haus und wie sie im Morgenlicht glitzerten. Er dachte an die Nächte in der Scheune, wenn es regnete und er wach lag und das Trommeln der Regentropfen hörte und den warmen Geruch der Pferde und des Heus roch. Dann dachte er an einen Sturm, der einige Tage davor durch Winesburg gebraust war, und seine Gedanken gingen weiter zurück, und er durchlebte noch einmal die Nacht, die er mit seiner Großmutter im Zug verbracht hatte, als sie aus Cincinnati kamen. Er erinnerte sich genau, wie eigenartig es war, still in dem Wagen zu sitzen und die Kraft der Lokomotive zu spüren, die den Zug durch die Nacht schleuderte.
Tom war innerhalb kürzester Zeit betrunken. Immer wieder, so wie die Gedanken ihn besuchten, trank er einen Schluck aus der Flasche, und als sich ihm der Kopf drehte, stand er auf und ging die Straße entlang, weg von Winesburg. An der Straße, die von Winesburg nach Norden zum Eriesee führte, lag eine Brücke, und
der betrunkene Junge lief die Straße entlang Richtung Brücke. Dort setzte er sich nieder. Er wollte trinken, doch als er den Korken aus der Flasche gezogen hatte, wurde ihm übel, und er steckte ihn rasch wieder hinein. Sein Kopf schwankte vor und zurück, also saß er auf der Steinrampe zu der Brücke und seufzte. Sein Kopf schien wie ein Windrädchen umherzufliegen und sich dann in den Weltraum zu schießen, und seine Arme und Beine schlenkerten hilflos umher.
Um elf Uhr erreichte Tom die Stadt. George Willard begegnete ihm, wie er umherstreifte, und nahm ihn mit in die Druckerei des «Eagle». Dann bekam er Angst, der Junge könnte sich auf den Boden übergeben, und zog ihn in die Gasse.
Der Reporter war von Tom Foster verwirrt. Der betrunkene Junge redete über Helen White und sagte, er sei mit ihr am Meeresufer gewesen und sie hätten sich geliebt. George hatte Helen White am Abend mit ihrem Vater auf der Straße gesehen und kam zu dem Schluss, dass Tom nicht bei Sinnen war. Eine Empfindung Helen White betreffend, die in seinem Herzen geschlummert hatte, flammte auf, und er wurde zornig.«Nun hör auf damit», sagte er. «Ich lasse nicht zu, dass Helen Whites Name in diese Sache hineingezogen wird. Das lasse ich nicht zu.» Er rüttelte Tom an den Schultern, versuchte, es ihm begreiflich zu machen. «Hör auf», sagte er noch einmal.
Drei Stunden lang blieben die beiden jungen Männer, auf derart seltsame Weise zusammengeführt, in der Druckerei. Als Tom sich ein wenig erholt hatte, ging George mit ihm spazieren. Sie ließen die Stadt hinter
sich und setzten sich auf einen Baumstamm am Waldrand. Etwas in der stillen Nacht zog sie zueinander hin, und als der betrunkene Junge allmählich klar im Kopf wurde, redeten sie.
«Es war gut, betrunken zu sein», sagte Tom Foster. «Es hat mich etwas gelehrt. Ich werde es nicht wiederholen müssen. Nach dieser Sache werde ich klarer denken. Du siehst ja, was los ist.»
George Willard sah nichts, aber sein Zorn wegen Helen White verflog, und er fühlte sich zu dem blassen, erschütterten Jungen hingezogen wie noch zu keinem anderen. Mit mütterlicher Sorge drang er darauf, dass Tom aufstand und umherlief. Dann gingen sie wieder zur Druckerei und saßen schweigend im Dunkeln.
Der Reporter vermochte sich den Zweck von Tom Fosters Handlung nicht zu erklären. Als Tom erneut von Helen White sprach, wurde er erneut zornig und schalt ihn. «Hör auf damit», sagte er in scharfem Ton. «Du warst gar nicht mit ihr zusammen. Wie kannst du so etwas sagen? Wie kannst du das andauernd behaupten? Nun hör auf damit, ja?»
Tom war verletzt. Er konnte mit George Willard nicht streiten, weil er dazu nicht fähig war, also stand er auf, um zu gehen. Als George Willard insistierte, legte er dem älteren Jungen die Hand auf den Arm und versuchte, es zu erklären.
«Also», sagte er leise, «ich weiß nicht, was los war. Ich war glücklich. Siehst doch, was los war. Helen White hat mich glücklich gemacht und die Nacht auch. Ich wollte leiden, irgendwie verletzt sein. Ich glaubte, es tun zu müssen. Ich wollte doch leiden, weil jeder
leidet und Unrecht tut. Ich habe mir viele Sachen überlegt, aber die haben nicht funktioniert. Die haben alle nur andere verletzt.»
Tom Fosters Stimme wurde lauter, und ausnahmsweise einmal war er fast aufgeregt. «Es war wie sich lieben, das wollte ich sagen»,
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