Winslow, Don
Frauen
nicht. Sie betrachten das Bewundertwerden als ihr Geburtsrecht und zeigen keine
sichtbaren Reaktionen.
Ein angemessen serviler Oberkellner weist ihnen den Weg.
Und alle verfolgen, wie die illustren Gäste im hinteren Raum verschwinden.
Nein, nicht alle.
Callan versäumt diesen Auftritt. Er steht an der Ecke Third Avenue und wartet
auf sein Zeichen. Sieht die Limousinen, die sich durch das vorweihnachtliche
Verkehrsgewühl arbeiten, dann rechts abbiegen in die 46th Street zu Sparks. Johnny Boy Cozzo, die Piccones und O-Bop vermutlich.
Er blickt auf die Uhr.
Es ist siebzehn Uhr dreißig - sie sind auf die Sekunde pünktlich.
Scachi ist schon da, um die ehrenwerten Herren und ihre Mädchen zu
begrüßen. Er ist der Gastgeber, er hat das Treffen organisiert. Er küsst sogar
Noras Hand (ohne sich einen Blick in ihren Ausschnitt zu verkneifen).
Donnerwetter, jetzt versteht er, warum Peaches ausgerechnet sie nach New
York geholt hat - für seinen letzten Ritt. Sieht irrsinnig gut aus, die Frau.
Eigentlich sehen sie alle irrsinnig gut aus, aber diese hier ...
Johnny Boy nimmt Scachi beiseite.
»Sal«, sagt er. »ich will dir nur kurz danken, dass du das für uns
vorbereitet hast. Ich weiß, es hat dich viel Aufwand, viel Mühe gekostet. Wenn
wir heute das erhoffte Resultat erzielen, retten wir vielleicht den
Familienfrieden.«
»Genau das will ich erreichen, Johnny.«
»Und du bekommst deinen Platz an der Tafel.«
»Darauf bin ich nicht aus«, sagt Scachi. »Ich liebe meine Familie, das
ist alles, Johnny. Ich möchte, dass sie stark und einig bleibt.«
»Das möchten wir alle, Sally.«
»Jetzt muss ich aber raus, nach dem Rechten sehen«, sagt Scachi.
»Klar«, sagt Johnny Boy. »Du kannst den Boss rufen. Der Boss kann kommen,
denn die Untertanen sind versammelt.«
»Siehst du, das ist genau die Einstellung, die -«
Johnny Boy lacht. »Fröhliche Weihnachten, Sal.«
Sie umarmen sich und küssen sich auf die Wange.
»Fröhliche Weihnachten, Johnny.« Sal zieht seinen Mantel über und wendet
sich zum Gehen. »Noch was, Johnny.«
»Ja?«
»Guten Rutsch.«
Scachi geht hinaus unter den Baldachin. Was für ein Wetter. Die
Regenschwaden liegen schräg in der Luft und drohen sich in einen Eissturm zu
verwandeln. Die Rückfahrt nach Brooklyn könnte zum Abenteuer werden.
Er klappt den Mantelkragen hoch und zieht das kleine Walkie-Talkie aus der
Tasche. »Bist du da?«
»Ja«, antwortet Callan.
»Ich rufe jetzt den Boss rein«, sagt Scachi. »Die Zeit läuft.«
»Alles nach Plan?«
»Genau wie besprochen«, sagt Scachi. »Du hast zehn Minuten, Kleiner.«
Callan wirft die Schachtel in einen Papierkorb, schiebt die Maschinenpistole
unter den Mantel und macht sich auf den Weg, die 46th Street hinunter.
In den Regen hinein.
Der Champagner fließt in Strömen.
Die Stimmung ist prächtig, es wird gelacht und gekichert.
»Tobt euch aus!«, ruft Peaches. »Champagner ist genügend da.«
Er geht mit der Flasche herum.
Nora hält ihm das Glas entgegen. Sie wird nichts trinken, nur ein wenig
nippen, wenn angestoßen wird. Aber das Prickeln in der Nase gefällt ihr.
»Stoßen wir an«, sagt Peaches. »Hey, es gibt viel Schlimmes im Leben, aber
es gibt auch viel Gutes. Also soll keiner trauern an diesem Freudentag. Das
Leben ist schön. Wir haben eine Menge zu feiern.«
In dieser schönen Weihnachtszeit, denkt Nora.
Dann bricht die Hölle los.
Callan öffnet den Mantel und zückt die Maschinenpistole.
Er entsichert, während er im strömenden Regen sein Ziel anvisiert.
Bellavia sieht ihn zuerst. Er hält Mr. Calabrese gerade die Wagentür auf,
als er herüberblickt und Callan entdeckt. In seinen Schweinsäuglein zeigt sich
erst ein Funke des Wiedererkennens, dann das Erschrecken, er will gerade fragen Was hast du hier zu suchen?, aber da hat er
schon begriffen und zieht die Pistole.
Viel zu spät.
Sein Arm wird zur Seite geschleudert, während eine Geschossgarbe seine
Brust durchsiebt. Er fällt gegen die offene Tür des schwarzen Lincoln
Continental, dann plumpst er zu Boden.
Callan richtet das Gewehr auf Calabrese.
Ihre Blicke begegnen sich, kurz bevor Callan abdrückt. Der alte Mann
taumelt, fällt in den Rinnstein, scheint sich im Regenwasser aufzulösen.
Callan stellt sich über die beiden verkrümmten Körper, hält den Lauf gegen
Bellavias Kopf und drückt zweimal ab. Bellavias Kopf hüpft vom nassen Beton
hoch. Dann presst Callan den Lauf an Calabreses Schläfe und drückt
Weitere Kostenlose Bücher