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Winslow, Don

Winslow, Don

Titel: Winslow, Don Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tage der Toten
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verschwinden«, sagt er. »Wenn man tut, was getan werden
muss.«
    »Vermutlich.«
    Sie macht sich Sorgen um ihn.
    Er sieht müde aus, abgespannt. Und obwohl sie darüber witzeln - er hat
neuerdings abgenommen und scheint anfälliger zu sein für Grippe und
Erkältungen.
    Aber es geht um mehr als um seine Gesundheit.
    Es geht um seine Sicherheit.
    Nora hat Angst, dass sie ihn ermorden werden.
    Nicht nur wegen seiner politischen Predigten und Aktivitäten. In den
letzten Jahren hat er sich immer öfter im Staat Chiapas aufgehalten, die Kirche
dort unten zu einem Zentrum für die Indio-Bewegung gemacht - zur Empörung der
dortigen Landbesitzer. Er hat die sozialen Probleme des Landes angesprochen
und sich dabei gefährlich weit nach links bewegt, sogar gegen das
NAFTA-Abkommen gewettert, welches, wie er argumentiert, die Armen und Landlosen
noch ärmer machen wird.
    Auch die Kanzel hat er dafür genutzt und die Kirchenoberen in Mexiko
genauso verärgert wie die rechten Politiker.
    Nora kann die Gefahr, in der er schwebt, förmlich mit Händen greifen.
    Als sie die Plakate zum ersten Mal sah, wurde sie wütend und wollte sie
herunterreißen, aber er hat sie zurückgehalten. Er fand es lustig, wie sie ihn
karikierten. EL CARDENAL ROJO - der rote Kardinal - und der Zusatz GEFÄHRLICHER VERBRECHER. GESUCHT
WEGEN HOCHVERRATS. Am liebsten hätte er sich das Plakat einrahmen lassen.
    Es macht ihm keine Angst - und er versichert ihr, dass selbst die Rechten
keinen Priester ermorden würden. Aber mit Oscar Romero in Guatemala
haben sie es doch gemacht, oder nicht? Die Kugeln sind nicht an seiner Soutane
abgeprallt. Eine Todesschwadron ist in seine Kirche eingedrungen, während er
die Messe las, und hat ihn niedergeschossen. Nora hat Angst vor der
mexikanischen Guardia Blanca und vor diesen Plakaten, die irgendeinen Verrückten dazu ermutigen
könnten, sich zum Helden zu machen, indem er einen Hochverräter erschießt.
    »Damit wollen sie mich nur einschüchtern«, hat Padre Juan ihr
versichert, als sie das Plakat zum ersten Mal sahen.
    Aber gerade das Wissen, dass er sich nicht einschüchtern lässt, macht ihr
die meiste Angst. Was werden sie tun, wenn sie mer ken, class diese Methode bei ihm nicht verfängt? Vielleicht ist also die
»Bitte« des Papstes, er möge zurücktreten, keine schlechte Sache. Weshalb auch
sie ihm die Idee eines Rücktritts nahelegt. Sie ist zu klug, um seine
Gesundheit ins Feld zu führen, seine Erschöpfung und die Drohungen, aber sie
möchte ihm eine Tür öffnen, durch die er einfach hinausgehen kann. Und zwar
lebend.
    »Ich weiß nicht«, sagt sie. »Vielleicht ist es keine so schlechte Idee.«
    Er hatte ihr von seinem Streit mit dem päpstlichen Nuntius in Mexico City
erzählt, von dessen Vorwurf, er begehe in Chiapas »schwere seelsorgerliche und
theologische Fehler«.
    »Das ist die Theologie der Befreiung«, hat ihm Antonucci vorgeworfen.
    »Die Theologie der Befreiung interessiert mich nicht«, war seine Antwort
gewesen. »Dann bin ich beruhigt.«
    »Mich interessiert nur die Befreiung.«
    Antonuccis Vogelgesicht wurde dunkelrot, als er erwiderte: »Christus
erlöst uns von Hölle und Tod, und ich denke, das ist Befreiung genug. Das ist
die frohe Botschaft des Evangeliums, und das ist es, was Sie den gläubigen
Christen in Ihrer Diözese zu vermitteln haben. Das sollte Ihr Hauptanliegen
sein - und nicht die Politik.«
    »Mein Hauptanliegen ist es«, erwiderte Parada darauf, »dass
das Evangelium für die Menschen schon jetzt zur frohen Botschaft wird, nicht
erst nachdem sie verhungert sind.«
    »Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil war es große Mode, so zu reden.
Aber möglicherweise ist es Ihrer Aufmerksamkeit entgangen, dass wir inzwischen
einen anderen Papst haben.«
    »Ja«, sagte Parada, »und manchmal verdreht er die Dinge. Er küsst den Boden, und er läuft über
die Menschen - statt umgekehrt.«
    »Lassen Sie die Scherze«, sagte Antonucci. »Gegen Sie wurde ein Verfahren
eröffnet.«
    »Durch wen veranlasst?«
    »Das
Lateinamerika-Büro des Vatikans. Bischof Gantin. Er verlangt Ihre Ablösung.«
    »Aus welchen
Gründen?«
    »Ketzerei.«
    »Das ist
lachhaft.«
    »Ach ja?«
Antonucci holte eine Akte vom Schreibtisch. »Haben Sie im vergangenen Mai in
Chiapas die heilige Messe zelebriert- und das im Maya-Kostüm, samt
Federschmuck?«
    »Das sind
Symbole, die von der indigenen Bevölkerung -«
    »Also, Sie geben es zu«, sagte Antonucci. »Sie huldigen heidnischen
Götzen - in aller

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