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Winslow, Don

Winslow, Don

Titel: Winslow, Don Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tage der Toten
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Offenheit.«
    »Glauben Sie, dass Gott erst mit Kolumbus nach Amerika gekommen ist?«
    »Jetzt zitieren Sie sich selbst«, sagte Antonucci. »Ja, hier habe ich
diesen theologischen Leckerbissen. Sehen wir mal: >Gott liebt die ganze
Menschheit -<«
    »Haben Sie
etwas gegen diese Feststellung einzuwenden?«
    »>- und daher offenbart er sein ,Gottsein' allen ethnischen Gruppen und
Kulturen dieser Welt. Bevor die ersten Missionare die Botschaft Christi
überbrachten, war der Prozess der Erlösung schon im Gange. Wir wissen sehr
wohl, dass Gott nicht auf den Schiffen des Kolumbus nach Amerika kam. Nein,
Gott war in all diesen Kulturen schon präsent, daher hat die Missionsarbeit
eine völlig andere Bedeutung - sie verkündet die Gegenwart Gottes, der bereits
anwesend ist.< Leugnen Sie, das gesagt zu haben?«
    »Nein, ich
unterstreiche es.«
    »Dass diese
Völker schon vor Christus erlöst
wurden?«
    »Ja.«
    »Das ist
reinste Ketzerei.«
    »Nein, das ist es nicht.« Es ist die reinste Erlösung. Die simple
Feststellung, dass Gott nicht auf den Schiffen des Kolumbus nach Amerika
gebracht wurde, hat mehr zur geistlichen Erweckung in Chiapas beigetragen als
tausend Katechismerl, weil die indigenen Völker in ihren eigenen Kulturen nach
Zeichen des offenbarten Gottes zu suchen begannen. Und sie fanden sie - in
ihren Bräuchen, ihrem Verhältnis zur Welt, ihren alten Gesetzen, die den Umgang
mit ihren Brüdern und Schwestern regelten. Erst als das geschehen war, als sie
Gott in sich entdeckt hatten, konnten sie die frohe Botschaft Christi
unverfälscht in sich aufnehmen.
    Und auf Erlösung hoffen. Erlösung von fünfhundert Jahren Sklaverei, einem
halben Jahrtausend Unterdrückung, Erniedrigung, Elend, verzweifelter,
mörderischer Armut. Und wenn Christus nicht erschienen ist, um sie davon zu
erlösen, dann ist er überhaupt nicht erschienen.
    »Und was sagen Sie dazu?«, fragte ihn Antonucci. »>Das Mysterium der
Dreifaltigkeit ist kein mathematisches Rätsel. Es ist die Manifestation des
Vaters in der Politik, des Sohnes in der Wirtschaft und des Heiligen Geistes in
der Kultur.< Gibt das wirklich Ihre Meinung wieder?«
    »Ja.«
    Ja, allerdings, weil diese drei Dinge - Politik, Wirtschaft und Kultur -
zusammenwirken müssen, damit sich Gott in all seiner Macht offenbart. Deshalb
haben wir die letzten sieben Jahre damit verbracht, Kulturzentren, Kliniken,
Kooperativen zu gründen - und ja, auch politische Organisationen.
    Antonucci fuhr fort. »Wollen Sie etwa Gott, unseren Vater, auf bloße
Politik reduzieren und Jesus Christus, Seinen Sohn und unseren Erlöser, auf das
Niveau eines drittklassigen marxistischen Wirtschaftsseminars? Und Ihre
blasphemische Verbindung des Heiligen Geistes mit der heidnischen Kultur werde
ich nicht einmal kommentieren, was immer Sie damit sagen wollen.«
    »Dass Sie das nicht wissen, ist ja gerade das Problem.«
    »Nein«, sagte Antonucci. »Das Problem ist, dass Sie es wissen.«
    »Wissen Sie, was mich ein alter Indianer neulich gefragt hat?«
    »Das werden Sie mir jetzt zweifellos erzählen.«
    »Er hat mich gefragt: >Rettet euer Gott nur unsere Seelen oder auch
unsere Körper?<«
    »Ich brenne darauf, Ihre Antwort auf diese Frage zu erfahren.«
    »Das sollten Sie auch.«
    Sie saßen sich am Schreibtisch gegenüber und funkelten sich gegenseitig
an. Um die Lage ein wenig zu entschärfen, sagte Parada: »Sehen Sie doch
mal, was wir in Chiapas erreicht haben. Wir haben jetzt sechstausend indigene
Katecheten. Es gibt sie in allen Dörfern, und sie verbreiten das Evangelium.«
    »Ja, sehen wir doch mal, was Sie in Chiapas erreicht haben«, erwiderte
Antonucci. »Sie haben den höchsten Prozentsatz an protestantischen Konvertiten
in ganz Mexiko. Nur etwas mehr als die Hälfte Ihrer Leute sind überhaupt noch
katholisch, so wenig wie sonst nirgends in Mexiko.«
    »Ach, darum geht es Ihnen!«, rief Parada. »Coca-Cola befürchtet, Marktanteile an Pepsi zu
verlieren.«
    Doch er bereute seinen Ausrutscher sofort. Eine alberne, hochmütige
Bemerkung, die ihm den Rückweg zur Verständigung verbaute.
    Und Antonucci hatte mit seinem Haupteinwand recht, denkt er jetzt.
    Ich bin aufs Land gegangen, um die Indios zu bekehren. Stattdessen haben
sie mich bekehrt.
    Und nun wird dieses Horror-Abkommen, genannt NAFTA, die Bauern von
dem bisschen Land vertreiben, das sie noch besitzen, Platz schaffen für
größere, »effizientere« Farmen. Den Weg bereiten für riesige Kaffeeplantagen,
für die Ausbeutung von

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