Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Winslow, Don

Winslow, Don

Titel: Winslow, Don Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tage der Toten
Vom Netzwerk:
allen Geschäften kennt man das Mädchen, man schenkt
ihr Süßigkeiten, Blumen, Haarspangen, Armbänder, hübsche Kleinigkeiten.
    Wenn Adán geschäftlich unterwegs ist - wie jetzt gerade, auf seinem regelmäßigen
Ausflug nach Guadalajara, um sich mit Tío zu treffen, dann nach Culiacán, mit einem
Aktenkoffer voller Geld für Gúero -, ruft er jeden Tag an, viele Male täglich,
um mit seiner Tochter zu sprechen. Erzählt ihr Witze, lustige Sachen, die er
unterwegs erlebt hat. Er bringt ihr Geschenke mit - aus Guadalajara, Culiacán, Badiraguato.
    Und die Ärzte, die sich in seiner Reichweite befinden, besucht er
ebenfalls. Er wird zum Experten für zystische Lymphangiome, er liest, studiert,
stellt Fragen, setzt Belohnungen aus, spendet Unsummen für die Forschung und
animiert seine Geschäftspartner diskret, desgleichen zu tun. Er und Lucia sind
von schönen Dingen umgeben, haben ein schönes Haus, aber sie könnten noch viel
schönere Dinge, ein noch viel größeres Haus besitzen, wenn sie nicht so viel
Geld für die Ärzte ausgeben würden. Und für Spenden, Geschenke, Messen, für Spielplätze
und Kliniken.
    Lucia ist froh darüber. Sie braucht keine schöneren Dinge, kein größeres
Haus. Sie will auch nicht so ein protziges und, offen gesagt, geschmackloses
Landhaus, mit dem sich andere narco trafican tes brüsten.
    Lucía und Adán würden alles
opfern, was sie haben, jedem Arzt und jedem Gott, der in der Lage ist, ihrem
Kind zu helfen.
    Je mehr die Wissenschaft versagt, umso stärker wendet sich Lucia der
Religion zu. Sie findet mehr Zuversicht im Wunderglauben als in den nüchternen
Zahlen der medizinischen Befunde. Ein Fingerzeig Gottes, der Heiligen, der
Jungfrau von Guadelupe könnte diese Zahlen in Sekundenschnelle zum Guten
wenden. Sie wird zur Betschwester, empfängt täglich die Kommunion, lädt den
Gemeindepfarrer, Padre Rivera, zum Abendessen ein, zu privaten Gebetsstunden, Konsultationen, Bibelsitzungen.
Sie stellt die Tiefe ihres Glaubens in Frage (»Vielleicht sind es meine
Zweifel, die ein Wunder verhindern?«), die Echtheit von Adáns Glauben. Sie
drängt ihn, öfter zur Messe zu gehen, inständiger zu beten, der Kirche noch
mehr Geld zu spenden, mit Padre
Rivera zu reden (»Schütte ihm dein Herz
aus!«).
    Damit es ihr besser geht, besucht er den Padre.
    Der ist kein schlechter Kerl, nur ein bisschen vertrottelt. Adán sitzt also in
seinem Büro, an seinem Schreibtisch, und sagt: »Ich hoffe, Sie reden Lucia
nicht ein, dass ihr mangelnder Glaube eine Heilung unserer Tochter verhindert.«
    »Natürlich nicht. So etwas würde ich niemals sagen oder auch nur denken.«
    Adán nickt.
    »Aber reden wir
über Sie«, sagt Rivera. »Was kann ich tun, um Ihnen zu helfen, Adán?«
    »Mir geht es
gut, wirklich.«
    »Es kann nicht
leicht sein -«
    »Nein, ist es
nicht. Aber so ist das Leben.«
    »Und wie steht
es zwischen Ihnen und Lucia?«
    »Alles in
Ordnung.«
    Riveras Augen glitzern
schelmisch: »Und im Bett, wenn ich fragen darf? Wie steht es um Ihre eheliche

    Adán muss sich ein
Grinsen verkneifen. Es amüsiert ihn jedes Mal, wenn Pfarrer, diese freiwilligen
Eunuchen, einem Ratschläge in Sachen Sex erteilen wollen. Wie Vegetarier, die
dir erzählen, wie du dein Steak zu grillen hast. Doch ist jetzt klar, dass
Lucia mit Rivera über ihr Sexualleben gesprochen hat, sonst hätte er nicht
gewagt, das Thema anzuschneiden.
    Nur leider: Es gibt da nichts zu bereden.
    Ein Sexualleben findet nicht statt. Lucia hat schreckliche Angst davor,
schwanger zu werden. Und weil die Kirche die künstliche Empfängnisverhütung
verbietet, wird sie nichts tun, was ihre absolute Treue zu den Geboten der
Kirche in Frage stellen könnte ...
    Er hat ihr hundertmal erklärt, dass die Wahrscheinlichkeit, wieder ein
Kind mit Geburtsfehler zu bekommen, bei eins zu tausend, eins zu einer Million
liegt, doch für Logik ist sie nicht empfänglich. Sie weiß, dass er recht hat,
aber eines Nachts gesteht sie ihm unter Tränen, dass sie nichts so sehr
fürchtet, wie diesen Moment in der Entbindungsklinik noch einmal zu erleben,
den Moment, als man sie informierte, als man ihr zeigte -
    Den Gedanken, diesen Moment noch einmal durchleben zu müssen, erträgt sie
nicht.
    Sie hat etliche Male versucht, an den empfängnisfreien Tagen mit ihm zu
schlafen, aber ist dabei innerlich erstarrt. Angst und Schuld, hat Adán begriffen, sind
schlechte Aphrodisiaka.
    Am liebsten würde er Rivera erklären, dass ihm Sex nicht so wichtig ist.

Weitere Kostenlose Bücher