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Winslow, Don

Winslow, Don

Titel: Winslow, Don Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tage der Toten
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Er hat
beruflich zu tun, er hat zu Hause zu tun, und alle seine Energien werden durch
die Geschäfte beansprucht (welcher Art die sind, wird nie erwähnt), durch die
Sorge um das schwerkranke, schwerbehinderte Kind und die Suche nach Heilung.
Verglichen mit den Leiden seiner Tochter ist ein unerfülltes Geschlechtsleben
nicht der Rede wert.
    »Ich liebe meine Frau«, sagt er zu Rivera.
    »Ich habe ihr geraten, noch Kinder zu bekommen«, sagt Rivera. »Weiter zu -«
    Genug, denkt Adán, jetzt wird es kränkend. »Gloria beansprucht jetzt unsere ganze Kraft, Padre. «
    Er hinterlässt einen Scheck auf dem Schreibtisch.
    Zu Hause erzählt er Lucia, dass er mit Padre Rivera gesprochen und
sich im Glauben gestärkt hat.
    Aber woran Adán wirklich glaubt, sind Zahlen.
    Es tut ihm weh, ihre traurige, vergebliche Gläubigkeit zu erleben, er
weiß, dass sich ihr Schmerz mit jedem Tag steigern wird, denn die Zahlen lügen
nicht. Die Zahlen sind sein täglich Brot, alle seine wichtigen Entscheidungen
sind auf Zahlen gegründet, die Arithmetik bestimmt die Gesetze des Universums,
der mathematische Beweis ist der einzig gültige.
    Und die Zahlen sagen, dass ihre Tochter nicht gesünder, sondern immer
kränker wird, dass die flehentlichen Gebete seiner Frau vergebens sind.
    Also hofft er auf die Wissenschaft, darauf, dass irgendwann die richtige
Formel gefunden wird, hofft auf das Wundermittel, den chirurgischen Trick, mit
dem Gott und die ganze Bande nutzloser Heiliger übertrumpft werden kann.
    Bis dahin kann man nichts weiter tun, als dieses aussichtslose Marathon fortzusetzen,
Schritt für Schritt.
    Weder Gott noch Wissenschaft können seiner Tochter helfen.
     
    Noras Haut sieht ganz rosig aus, als sie aus dem Bad kommt.
    In einen dicken weißen Frotteemantel gehüllt, das Handtuch als Turban um
den Kopf gewickelt, lässt sie sich aufs Sofa plumpsen, legt die Füße auf den
Couchtisch und greift nach dem Brief.
    »Und?«, fragt sie. »Wirst du's tun?«
    »Werde ich was tun?«, fragt Parada. Er schwelgt gerade in den Klängen von John
Coltrane, die aus dem Radio kommen. »Zurücktreten.«
    »Ich weiß nicht«, sagt er. »Ich werde wohl müssen. Ich meine, ein Brief
vom Papst persönlich ...«
    »Aber du sagtest, es ist eine Bitte, kein Befehl.«
    »Das ist nur eine Höflichkeitsfloskel«, sagt Parada. »Es läuft aufs
Gleiche hinaus. Einer Bitte des Papstes widersetzt man sich nicht.«
    Nora zuckt die Schultern. »Für alles gibt's ein erstes Mal.«
    Parada lächelt. Ja,
ja, die unbekümmerte Jugend. Es ist die Schwäche und Tugend junger Menschen
zugleich, dass sie so wenig Respekt vor Traditionen haben und noch weniger vor
der Autorität. Ein Vorgesetzter bittet dich, etwas zu tun, und du willst nicht?
Kein Problem - einfach Nein sagen.
    Aber es wäre so leicht, zu gehorchen, denkt er. Mehr als leicht - verlockend.
Tritt zurück, werde wieder einfacher Pfarrer oder nimm die Versetzung ins
Kloster an - für eine »Zeit der Besinnung«, wie sie es wahrscheinlich nennen
würden. Eine Zeit der Einkehr und des Gebets. Das klingt wundervoll - nach all
der Mühe und Verantwortung, den ständigen politischen Verhandlungen, dem
unablässigen Kampf um Nahrung, Unterkunft, Medikamente, nicht zu vergessen die
Geißel des Alkoholismus, eheliche Gewalt, Arbeitslosigkeit und Armut und die
unabsehbar vielen Tragödien, die daraus erwachsen. Das ist eine wahre Bürde,
denkt er, ohne sich seines Selbstmitleids zu schämen, und nun will mir Il Papa nicht nur den Kelch aus der Hand nehmen, er möchte, dass ich ganz auf ihn
verzichte.
    Und wird ihn mir, mit Gewalt aus der Hand reißen, wenn ich ihn nicht in
aller Demut übergebe.
    Das ist es, was Nora nicht versteht.
    Eins der wenigen Dinge, die sie nicht versteht.
    Seit Jahren schon kommt sie zu Besuch. Anfangs immer nur für ein paar
Tage, um im Waisenhaus außerhalb der Stadt zu helfen, dann wurden Wochen
daraus, und später wurden aus den Wochen Monate, bevor sie wieder in die
Staaten zurückging, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen und dann wiederzukommen.
Und ihre Einsätze im Waisenhaus werden länger und länger.
    Was eine gute Sache ist, denn dort hat sie sich unentbehrlich gemacht.
    Zu ihrer Überraschung ist sie ganz gut darin, das zu tun, was getan werden
muss. An manchen Vormittagen kümmert sie sich um die Vorschulkinder, dann
wieder überwacht sie die anscheinend niemals endenden Klempnerarbeiten oder
verhandelt mit Baufirmen über die Kosten eines neuen Schlafsaals. Oder

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