Winslow, Don
fährt
auf den großen Zentralmarkt von Guadalajara, um die besten Preise für den
wöchentlichen Lebensmitteleinkauf herauszuschlagen.
Anfangs hat sie jedes Mal, wenn eine neue Aufgabe auf sie zukam, dasselbe
Klagelied angestimmt: »Davon hab ich keine Ahnung!« - und von Schwester Camella
die immergleiche Antwort erhalten: »Dann wirst du's lernen.«
So war es, und so ist es auch geblieben. Sie hat sich zum Experten für
die Sanitärprobleme der Dritten Welt entwickelt. Die Baufirmen lieben und
hassen sie - sie ist wunderschön, aber von einer gnadenlosen Härte, und
verbreitet Entsetzen wie Entzücken, wenn sie mit ihrem abgehackten, aber sehr
eindrücklichen Spanisch Dinge ausspricht wie: »No me
quiebres el culo.«
Reißt mir nicht den Arsch auf.
Bei anderen Gelegenheiten kann sie so charmant und verführerisch sein,
dass sie ihr alles geben, was sie fordert, auch wenn sie selbst kaum daran
verdienen. Es reicht ein Blick, ein Lächeln von ihr. Sie sagt nur: »Das Dach
kann wirklich nicht warten, bis das Geld da ist - die Regenzeit fängt an, sehen
Sie nicht den Himmel?«
Nein, den Himmel sehen sie nicht, nur ihr Gesicht, ihre Figur und, seien
wir ehrlich, auch ihre Seele, und sie gehen los und reparieren das verfluchte
Dach. Sie wissen auch, dass sie gut im Geldbeschaffen ist, dass sie es besorgen
wird, denn wer in der ganzen Diözese wagt es, ihr etwas abzuschlagen?
Dazu hat niemand den Mumm.
Und auf dem Markt? Dios mío!, der reinste Terror. Tritt auf wie eine Königin, verlangt das Beste von
diesem, das Frischeste von jenem. Fasst die Sachen an, beschnuppert sie,
verlangt Kostproben.
Eines Morgens fragt ein aufgebrachter Händler: »Was glauben Sie, für wen
Sie einkaufen? Für ein Luxushotel?«
Und sie antwortet: »Meine Kinder verdienen das Gleiche oder Besseres. Oder
sehen Sie das anders?«
Sie besorgt ihnen das beste Essen zum besten Preis.
An Gerüchten über sie hat es nicht gemangelt. Sie sei eine Schauspielerin
- nein, eine Hure - nein ... die Mätresse des Kardinals. Nein, sie war eine
Edelkurtisane, sie stirbt bald an Aids, und jetzt arbeitet sie im Waisenhaus,
um Buße zu tun, bevor sie vor ihren Schöpfer tritt.
Aber diese Geschichten haben an Glaubwürdigkeit verloren, als das erste
Jahr verging, dann zwei, dann fünf, dann sieben - und sie kommt immer noch nach
Mexiko, ohne dass ihre Gesundheit oder ihr Aussehen gelitten haben, und
irgendwann haben die Spekulationen über ihre Vergangenheit ganz von selbst
aufgehört.
Aber sie genießt die Mahlzeiten, wenn sie in die Stadt kommt. Sie isst
sich richtig satt, dann geht sie mit ihrem Weinglas in das Badezimmer mit
richtigen Kacheln und bleibt so lange im heißen Wasser, bis ihre Haut ganz
rosig ist. Und trocknet sich mit den großen, flauschigen Handtüchern ab (die im
Waisenhaus sind klein, hart und dünn - fast durchsichtig). Das Zimmermädchen
bringt ihre Sachen, die gewaschen wurden, während sie in der Wanne saß, und
dann verbringt sie den Abend mit Padre Juan, bei Geplauder, Musik oder Filmen. Sie weiß,
dass er ihre Zeit im Bad genutzt hat, um in den Garten zu gehen und heimlich zu
rauchen. (Die Ärzte haben es ihm wieder und wieder verboten, aber er gibt ihnen
jedes Mal zur Antwort: »Wenn ich nun das Rauchen aufgebe und von einem Auto
überfahren werde? Dann habe ich ganz umsonst auf mein Vergnügen verzichtet.«)
Hinterher lutscht er ulkigerweise noch eine Pfefferminzpastille, als könnte
er Nora damit täuschen, als hätte er es nötig, sie zu täuschen.
Dabei sind sie längst dazu übergegangen, ihre Badezeiten nach
Zigarettenlängen zu bemessen. »Ich gehe jetzt mal fünf Zigaretten lang baden«
oder, wenn sie sich besonders abgespannt und badebedürftig fühlt: »Das wird
jetzt ein Achtzigarettenbad.« Aber trotzdem tut er weiter so, als wüsste er
nicht, wovon sie redet, und lutscht seine Pfefferminzpastille.
Dieses Spiel läuft nun schon seit sieben Jahren.
Sieben Jahre - sie kann es nicht fassen.
Ausnahmsweise ist sie heute schon am Vormittag gekommen, nachdem sie die
ganze Nacht bei einem kranken Kind im städtischen Krankenhaus verbracht hat.
Als das Kind außer Gefahr war, ist sie mit dem Taxi zu Padre Juan gefahren,
hat sich ein Bad und ein ausgiebiges Frühstück gegönnt. Und jetzt sitzt sie bei
ihm im Zimmer und hört seine Musik.
»Wohin sind die verschwunden?«, fragt sie, während sich Coltrane in sein
Solo vertieft.
»Wohin ist was verschwunden?«
»Die sieben Jahre.«
»Wohin sie immer
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