Winslow, Don
jetzt einen
Hubschrauber kriegen, denkt er, besteht vielleicht die Chance, dass er -
Tío tritt hinter
ihn, schaut sich den Alten an und ruft: »Halt, oder ich schieße!«
Er zieht eine 45er, richtet sie auf den Hinterkopf des patrón und drückt ab.
Don Pedro zuckt hoch und sinkt zurück.
»Er hat nach seiner Waffe gegriffen«, sagt Tío zu Keller.
Keller antwortet nicht.
»Er hat nach seiner Waffe gegriffen«, wiederholt Tío. »Alle haben sie
nach ihren Waffen gegriffen.«
Keller sieht sich die Leichen an, die jetzt auf dem Boden verstreut
liegen. Die DFS-Leute sammeln die Waffen der Toten ein und feuern in die Luft.
Rote Blitze schießen aus den Gewehrmündungen.
Das war keine Festnahme, sagt sich Keller. Das war eine Hinrichtung.
Der schmächtige blonde Fahrer kriecht aus dem Auto, kniet sich auf den
blutgetränkten Boden und hebt die Hände. Er zittert - ob es die Angst ist oder
die Kälte oder beides, weiß man nicht. Du würdest genauso zittern, sagt sich
Keller, wenn du wüsstest, dass du gleich erschossen wirst.
Aber genug ist genug.
Er stellt sich
zwischen Tío und den knienden jungen. »Tio -« Da sagt Tío: »Levantate, Gúero. « Der Junge rappelt sich hoch. »Dios le
bendiga, patron.« Gott segne
dich. Patrón. Boss.
Jetzt erst versteht Keller. Das war weder eine Festnahme noch eine
Hinrichtung.
Das ist ein Bandenkrieg.
Tío hat die Pistole
weggesteckt und eine seiner dünnen schwarzen Zigarren anzündet. Als er sieht,
dass Keller ihn anstarrt, zeigt er mit dem Kinn auf Don Pedros Leiche: »Sie
haben bekommen, was Sie wollten.«
»Sie auch.«
Tío zuckt die
Schulter. »Nehmen Sie Ihre Trophäe mit.«
Keller geht zu seinem Jeep und holt einen Regenponcho. Behutsam wickelt
er Don Pedros Leiche hinein, fasst mit beiden Armen unter und hebt ihn hoch.
Der alte Mann wiegt so gut wie nichts.
Keller trägt ihn zu seinem Jeep und legt ihn auf die Rückbank. Steigt ein
und bringt die Trophäe zum Basiscamp. Condor oder Phoenix, wo ist der
Unterschied? Hölle bleibt Hölle, egal, wie du sie nennst.
Ein Alptraum
reißt Adán Barrera aus dem Schlaf. Ein rhythmisch dröhnender Bass.
Er rennt aus der Hütte und sieht riesige Libellen am Himmel, die sich beim
zweiten Hinsehen in Hubschrauber verwandeln. Und niederstoßen wie die Geier.
Geschrei, aufheulende Motoren, Pferdegetrappel. Da laufen Soldaten und
schießen. Adán greift sich einen Campesino und befiehlt ihm: »Versteck mich!« Der zieht ihn in
eine Hütte. Adán versteckt sich unter dem Bett, bis das Strohdach in Flammen aufgeht. Er
muss hinaus und wird empfangen von Soldaten mit aufgepflanzten Bajonetten.
Was zum Teufel ist hier los?
Und sein Onkel - sein Onkel wird toben. Tío hat ihnen eingeschärft,
sich zu verdrücken, nach Tijuana oder San Diego, ganz egal, Hauptsache weg.
Aber sein Bruder Raúl musste unbedingt nach Badiraguato, zu diesem Mädchen, es sollte eine Party
steigen, und da durfte auch Adán nicht fehlen. Jetzt steckt Raúl wer weiß wo,
und ich, denkt Adán, bin von Bajonetten umringt.
Tío hat die beiden
nach dem Tod ihres Vaters praktisch großgezogen, da war Adán vier. Und Tío Ángel, selbst kaum
erwachsen, übernahm die Verantwortung für sie, redete mit ihnen wie ein Vater,
sorgte für sie und sah zu, dass etwas aus ihnen wurde.
Mit Tíos Aufstieg bei der Polizei stieg auch der Wohlstand der Familie, und als Adán den
Kinderschuhen entwuchs, pflegte er schon einen soliden bürgerlichen Lebensstil.
Im Unterschied zu den Gomeros waren die Barrera-Brüder Stadtkinder - sie wohnten in Culiacán, gingen dort zur
Schule, fuhren zu den Poolpartys ihrer Freunde, zu den Strandpartys in Mazatlán. Die heißen
Sommermonate verbrachten sie häufig auf Tíos Hazienda in der kühlen Gebirgsluft von
Badiraguato, wo sie mit den Kindern der Campesinos spielten.
Wunderschöne Kindheitstage waren das. Sie fuhren mit dem Fahrrad zu den
Bergseen, sprangen im Steinbruch von den Granitfelsen ins smaragdgrüne Wasser,
faulenzten auf der großen Veranda des Hauses, während ein Dutzend Tanten sie
verwöhnten, ihnen Tortillas brachten, Albóndigas und auch Adáns Lieblingsleckerei - frischen Pudding mit einer dicken Karamelkruste.
Adán liebte los campesinos.
Sie wurden zu einer großen, liebevollen Familie für ihn. Seine Mutter war
ihm seit dem Tod des Vaters entfremdet, sein Onkel immer ernst und
geschäftsmäßig. Aber die Campesinos schenkten ihm die Wärme der Sommersonne.
Es war so, wie der Pfarrer seiner Kindheit,
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