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Winslow, Don

Winslow, Don

Titel: Winslow, Don Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tage der Toten
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Padre Juan, unablässig
predigte: »Christus ist mit den Armen.«
    Sie mussten so hart arbeiten, stellte der kleine Adán fest - auf den
Feldern, in den Küchen, an den Waschtrögen, und hatten so viele Kinder, aber
wenn sie von der Arbeit kamen, fanden sie immer noch Zeit, die Kinder in den
Arm zu nehmen, mit ihnen zu spielen und zu scherzen.
    Adán liebte die
Sommerabende über alles, wenn die Familien zusammensaßen, die Frauen kochten,
die Kinder in lärmenden, ausgelassenen Horden umherrannten, die Männer beim
Bier ihre Witze machten, über die Ernte redeten, das Wetter, das Vieh. Sie
aßen alle zusammen an großen Tischen unter alten Eichen, und es wurde still,
wenn sie sich mit gebotenem Ernst ihrer Mahlzeit widmeten. War der erste Hunger
gestillt, ging das Geschnatter wieder los - die Witze, die Sticheleien, das
Gelächter. Und wenn dann der lange Sommerabend in die Nacht überging und die
Luft kühl wurde, setzte sich Adán so nahe, wie es nur ging, zu den leeren Stühlen,
die dann bald von den Männern mit ihren Gitarren besetzt wurden. Er saß dann
buchstäblich zu ihren Füßen, wenn sie die tambora sangen, lauschte hingerissen ihren Liedern über die gomeros und bandidas und revolucionarios, die Helden von Sinaloa, die die Legenden seiner Kindheit bevölkerten.
    Irgendwann erinnerten die Männer daran, dass die Sonne bald aufgehen
würde, und die Tanten scheuchten Adán und Raúl zurück zur Hazienda, wo sie auf dem mit
Fliegengittern geschützten Balkon schliefen, in Betttüchern, die die Tanten mit
kaltem Wasser besprenkelt hatten.
    Meistens kamen dann noch die abuelas - die alten Frauen, die Großmütter - und erzählten ihnen Geschichten von
Hexen, Gespenstern und Geistern, die sich in Eulen, Falken, Adler, Schlangen,
Echsen, Füchse und Wölfe verwandelten. Geschichten von einfältigen Burschen,
die sich von der Hexenliebe bezaubern ließen, in ihrer blinden Verliebtheit
gegen Pumas und Wölfe kämpften, gegen Riesen und Gespenster, um die Gunst ihrer
Angebeteten zu gewinnen - und zu spät bemerkten, dass sie sich in eine böse
alte Hexe verliebt hatten oder eine Eule oder eine Füchsin.
    Adán schlummerte
unter diesen Geschichten ein und schlief wie ein Stein, bis ihn die Morgensonne
wachkitzelte und ein neuer wunderschöner Sommertag begann - mit dem Duft von frischen Tortillas, von machaca, chorizo und großen süßen Orangen.
    Jetzt riecht der Morgen nach Brand und Gift.
    Soldaten stürmen durchs Dorf, zünden Strohdächer an, zerstören die
Lehmwände mit ihren Gewehrkolben.
    Leutnant Navarres von den Federales hat eine Stinklaune. Die DEA-Agenten
aus Amerika sind unzufrieden - sie haben keine Lust auf die kleinen Fische, sie
wollen die Drahtzieher und gehen ihm damit auf die Nerven, weil sie glauben,
dass er ihre Verstecke kennt, dass er sie in Sicherheit gebracht hat.
    Sie haben eine Menge Leute verhaftet, aber nicht die wichtigen. Sie
suchen nach García Ábrego, nach Chalino Guzmán alias el Verde, nach Jaime
Herrera und nach Rafael Caro, und alle
scheinen sie entwischt zu sein.
    Vor allem aber suchen sie Don Pedro.
    El patrón.
    »Wir spielen doch hier nicht Ich sehe was, was du nicht siehst, oder?«,
hat ihn ein DEA-Mann mit blauer Basecap gefragt. Genau das macht Navarres
wütend, die ewige Unerstellung der Yankees, alle mexikanischen Polizisten
würden la mordida kassieren, sich schmieren lassen oder, wie die Amerikaner sagen, »die
Hand aufhalten«.
    Navarres ist also wütend, er fühlt sich gedemütigt, und so etwas macht
einen stolzen Mann zu einem gefährlichen Mann.
    Da fällt sein Blick auf Adán.
    Designer-Jeans, Nike-Schuhe, modischer Haarschnitt. Er sieht sofort, dass
dieser Hänfling kein Campesino ist, sondern einer von den reichen Gomero-Kids aus Culiacán.
    »Leutnant Navarres, Bundespolizei«, sagt er. »Wo ist Don Pedro Aviles? «
    »Keine Ahnung, ich bin Student«, sagt Adán, bemüht, so
harmlos wie möglich zu klingen.
    Navarres grinst. »Und was studierst du?«

»Wirtschaft«, antwortet Adán. »Rechnungswesen.«
    »Ein Buchhalter«, sagt Navarres. »Und wie rechnest du ab? In Kilos?«
    »Nein«, sagt Adán.
    »Du bist also rein zufällig hier.«
    »Ich bin mit meinem Bruder zu einer Party hierhergekommen«, sagt Adán. »Hören Sie, das
Ganze ist ein Missverständnis. Wenn Sie mit meinem Onkel reden, wird er -«
    Navarres zieht die Pistole und schlägt Adán mit der
Rückhand ins Gesicht. Die Federales stoßen den bewusstlosen Adán und die Campesinos, die

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