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Winslow, Don

Winslow, Don

Titel: Winslow, Don Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tage der Toten
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erwischen
kann. Er rennt ihm nach und taucht sofort ab, als ihn ein Narco ins Visier
nimmt, und erwischt ihn mit einem Schuss über die Schulter, der Mann taumelt
zurück, schlägt lang hin, eine Staubwolke steigt auf, im Mondlicht gut zu
sehen.
    Die Barreras aber sind weg.
    Als die Schießerei verebbt ist, schaut sich Ramos die Toten,
Verwundeten, die Festgenommenen an - Fehlanzeige.
    Rancho las Bardas ist ein
Trümmerhaufen. Das Hauptgebäude zerschossen wie ein Sieb. Brennende Autos, auf
den Ästen hocken seltene Vögel, manche Tiere sind tatsächlich zurück in ihre
Käfige geflohen und drücken sich winselnd in die Ecken.
    In der Nähe des Zauns, inmitten weißer, blutbespritzter Mohnblüten, sieht Ramos eine lange
Gestalt liegen. Seine Uzi im Anschlag, dreht er den Mann mit dem Fuß auf den
Rücken. Es ist nicht Raúl, und Ramos ist wütend. Wir wissen, dass er hier war, wir haben ihn gehört, sagt er
sich. Ich hab ihn gesehen. Oder nicht? Vielleicht sollten uns die abgehörten
Handys in die Irre führen, und sie sitzen in Costa Rica oder Honduras in der
Strandbar, trinken ein gut gekühltes Bier und lachen uns aus.
    Dann entdeckt er etwas.
    Eine Falltür, bedeckt mit Erde und ein bisschen Gestrüpp, aber er erkennt
den quadratischen Umriss, bei näherem Hinsehen auch Fußabdrücke.
    Ihr könnt fliehen, sagt er sich, aber ihr könnt euch nicht in Luft
auflösen.
    Ein Tunnel. Sehr gut.
    Er besieht die Falltür aus der Nähe, sie muss gerade benutzt worden sein,
ein wenig Erde rieselt noch durch eine Ritze. Er schiebt das Gestrüpp beiseite
und tastet nach einem Handgriff, hebt die Klappe an.
    Er hört ein winziges Klicken, dann sieht er die Sprengladung.
    Aber es ist zu spät.
    Die Explosion reißt ihn in Stücke.
     
    Die lastende Stille ist zur Totenstille geworden.
    Keller hat alles Erdenkliche versucht, Nora zu finden. Und obwohl er sich
hartnäckig weigert, seine Quelle zu nennen, hat ihm Hobbs moderne
Fahndungsmittel zur Verfügung gestellt. Er nutzt Satellitenbilder,
Abhörtechnik, Internetüberwachung. Doch es hilft alles nichts.
    Seine Möglichkeiten sind begrenzt. Er kann nicht offen nach ihr fahnden,
das würde ihre Tarnung auffliegen lassen und sie töten - wenn sie nicht schon
tot ist. Und jetzt fehlt ihm auch Ramos mit seinen brachialen Kampfeinsätzen.
    »Es sieht nicht gut aus, Boss«, sagt Shag.
    »Wann kommen die neuen Satellitenbilder?«
    »In fünfundvierzig Minuten.«
    Wenn es das Wetter erlaubt, bekommen sie Bilder von Rancho las Bardas, dem
Schlupfwinkel der Barreras in der Wüste. Die letzten fünf Lieferungen haben
nichts erbracht. Ein paar Bedienstete, aber niemand, der aussieht wie die
Barreras oder Nora.
    Und auch keine Zeichen von Betriebsamkeit. Weder neue Autos noch frische
Reifenspuren, kein Kommen und Gehen. Das gleiche Bild bei den anderen
Stützpunkten und Verstecken der Barreras, die Ramos noch nicht
ausgeräuchert hatte. Keine Bewohner, kein Handyverkehr.
    Mein Gott, denkt Keller, irgendwann muss denen doch die Puste ausgehen. So
wie uns.
    »Gib mir Bescheid«, sagt er zu Shag. Er muss zu einem Treffen mit Mexikos
neuem Drogenbeauftragten, General Augusto
Rebollo.
    Angeblich will ihn Rebollo im Rahmen der neubelebten bilateralen
Zusammenarbeit über die Maßnahmen zur Ergreifung der Barreras informieren. Das
Problem ist nur, dass er nicht viel mitzuteilen hat. Ramos hat weitgehend
auf eigene Faust gehandelt, und eigentlich kann Rebollo nur im
Fernsehen agieren, mit finster-entschlossenem Blick, und sich voll und ganz
hinter das Vorgehen des tödlich verunglückten Ramos stellen, ohne
überhaupt zu wissen, worin es bestand.
    Aber auch diese Entschlossenheit wankt.
    Mexiko City wird von Tag zu Tag nervöser, weil die Barreras noch immer auf
freiem Fuß sind. Je länger dieser Krieg dauert, umso nervöser werden sie, und
John Hobbs versucht Keller schonend beizubringen, dass die Mexikaner jetzt vor
allem »Gründe zum Optimismus« brauchen.
    Rebollo, der in seiner
gebügelten grünen Armeeuniform aussieht wie aus dem Ei gepellt, beschwört
Keller mit zuckersüßer Stimme, er solle sein offenkundiges Insiderwissen über
das Barrera-Kartell preisgeben und seine Quelle nennen, denn dann könne auch
die mexikanische Seite ihren Krieg gegen die Drogen sehr viel effizienter
gestalten.
    Er lächelt Keller an.
    Auch Hobbs lächelt Keller an.
    Alle im Raum versammelten Bürokraten lächeln ihn an. »Nein«, sagt Keller.
    Durch das
Panoramafenster hat er einen guten Ausblick auf Tijuana.

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