Winslow, Don
Irgendwo da drüben
muss sie sein. Rebollo hört auf zu lächeln und ist beleidigt. »Arthur -«, mahnt Hobbs. »Nein.«
Sollen sie sich ein bisschen mehr anstrengen.
Die Sitzung endet in Missstimmung, und Keller kehrt zurück in seine
Einsatzzentrale. Die neuen Satellitenbilder von Rancho las Bardas müssten
gekommen sein.
»Und?«, fragt er Shag.
Shag schüttelt den Kopf.
»Mist!«
»Die haben sich in Luft aufgelöst«, sagt Shag. »Kein Telefonverkehr,
keine E-Mails, nichts.«
Shags Cowboygesicht ist verwittert und faltig, er trägt jetzt eine
Gleitsichtbrille. Gott, bin ich auch so alt geworden?, fragt sich Keller. Zwei
alte Kämpfer im Drogenkrieg. Wie nennen uns wohl die Jungen? Narco-Fossile? Und
Shag ist älter als ich, geht stramm auf die Rente zu.
»Er wird seine Tochter anrufen«, sagt Keller plötzlich.
»Was?«
»Gloria, seine Tochter. Seine Frau wohnt mit ihr in San Diego.«
Shag windet sich. Sie wissen beide, dass es gegen das ungeschriebene
Gesetz des Drogenkriegs verstößt, unbeteiligte Familienangehörige
hineinzuziehen.
Keller kennt Shags Bedenken.
»Scheiß drauf«, sagt er. »Lucia Barrera weiß, was ihr Mann treibt. Sie ist kein Unschuldslamm.«
»Aber das Mädchen.«
»Ernie Hidalgos Kinder wohnen auch in San Diego«, erwidert Keller. »Sie
kriegen ihren Daddy nie zu sehen. Also, lass sie abhören.«
»Boss, kein Richter wird das -«
Kellers Blick bringt ihn zum Schweigen.
Auch Raúl Barrera ist unzufrieden.
Sie zahlen Rebollo jeden Monat dreihunderttausend Dollar, und für dieses Geld sollte man mehr
von ihm erwarten dürfen.
Aber er hat nicht verhindert, dass Rancho las Bardas von Ramos und seinen Leuten überfallen wurde, und kann nicht
bestätigen, dass Nora Hayden die Verräterin ist, und Raúl will es endlich
wissen. Er hält seinen eigenen Bruder wie einen Gefangenen, und wenn sich seine
Geliebte als unschuldig erweist, ist die Hölle los.
Als Raúl Nachricht von Rebollo bekommt - leider keine neuen Erkenntnisse -, antwortet er knapp, aber
entschieden, Rebollo möge sich mehr anstrengen. Denn wenn du nicht spurst, können wir auch
durchblicken lassen, dass du auf unserer Gehaltsliste stehst. Und du gehst in
den Knast.
Rebollo versteht die
Botschaft.
Fabián Martínez tuschelt mit
seinem Anwalt und kommt direkt zur Sache.
Er kennt die Gepflogenheiten in Drogenverfahren. Das Kartell schickt einen
Anwalt, und man erzählt ihm, welches Wissen man im Verhör preisgegeben hat. Auf
diese Weise kann meist Schlimmeres verhütet werden. »Ich hab nicht gesungen«,
sagt Martínez.
Der Anwalt nickt.
»Aber die haben einen Informanten«, sagt Fabián und senkt die
Stimme zu einem Flüstern. »Und zwar Nora, Adáns Schlampe.«
»Heiliger! Sind Sie sicher?«
»Es kann nur sie gewesen sein«, sagt er. »Bieten Sie eine Kaution, aber
schnellstens. Sonst werde ich hier noch verrückt.«
»Bei illegalem Waffenhandel wird das schwierig, fürchte ich.«
»Vergessen Sie den Waffenhandel.« Er steht unter Mordanklage, gesteht er
dem Anwalt.
Verfahrene Kiste, denkt der. Wenn Martínez keinen richtig guten Deal hinkriegt, kann er sich
auf eine lange Haftstrafe gefasst machen.
Sie ist keine Gefangene, und sie ist nicht frei.
Nora weiß nicht genau, wo sie sich befindet, nur dass es irgendwo an der
Ostküste der Baja-Halbinsel sein muss.
Ihre Hütte besteht aus denselben roten Felssteinen wie die Umgebung, hat
ein Dach aus Palmzweigen und massive Holztüren. Keine Klimaanlage, doch die
dicken Mauern sorgen für Kühle. Neben dem großen Zimmer mit Kochecke, das aufs
Meer blickt, gibt es noch ein kleines Schlafzimmer und ein Bad.
Für Strom sorgt der ratternde Dieselgenerator hinterm Haus. Sie hat also
Licht, fließend warmes Wasser und ein Spülklosett. Sie kann heiß duschen, auch
baden. Sogar eine Satellitenschüssel ist vorhanden, aber der Fernseher fehlt
ebenso wie ein Radio. Alle Uhren wurden entfernt, sogar die Armbanduhr hat man
ihr weggenommen.
Einen kleinen CD-Player gibt es, aber keine CDs.
Sie wollen, dass ich mit mir allein bin, denkt sie.
In einer Welt ohne Zeit.
Und sie weiß wirklich nicht, wie viele Tage es her ist, seit Raúl sie aus der
Stadtwohnung geholt und ins Auto verfrachtet hat, wo er ihr erzählte, dass die
Hölle losgebrochen sei und er sie zu Adán bringen werde. Sie traute ihm nicht, aber hatte
keine Wahl, und er entschuldigte sich gar, als er ihr erklärte, er müsse ihr zu
ihrer eigenen Sicherheit die Augen verbinden.
Sie weiß
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