Winslow, Don
Leute
über die Mauer kommen.
Ramos schultert den
Granatwerfer, zielt und drückt ab. Ein greller Blitzstrahl, und der
nächststehende Wachturm explodiert. Er setzt ein neues Geschoss ein, wieder
ein Blitz. Dann sieht er die zwei Hirsche, die in Panik gegen den Zaun ihres Geheges
anrennen. Er öffnet das Gatter, und die beiden Tiere fliehen hinaus in die
Nacht.
Vögel kreischen, aus den Affenkäfigen dringt irres Schnattern, auch Löwen
soll es hier geben, denkt Ramos, da hört er schon ihr bedrohliches Knurren, das er
nur aus Filmen kennt, und vergisst es gleich wieder, weil jetzt das Abwehrfeuer
einsetzt.
Sie sind bei Dunkelheit mit dem Flugzeug gekommen, es war eine riskante
Landung ohne Licht, auf einer alten Schmugglerpiste, dann folgte ein Marsch
durch die Wüste und ein behutsames Heranpirschen auf den letzten tausend
Metern, wo die Jeeps der Wachmänner ihre Runden drehten.
Aber wir sind drin, denkt Ramos, presst den vertrauten Kolben seiner Uzi an die
Wange, feuert ein paar Schüsse ab, springt auf und bewegt sich nach vorn, im
Vertrauen darauf, dass ihm seine Männer Feuerschutz geben. Er wirft sich flach
zu Boden und gibt den anderen Deckung, während sie mit der gleichen
Sprungtechnik an ihm vorbeistürmen und sich auf das Haus der Barreras
zubewegen.
Einer wird getroffen, er macht einen Satz wie eine Antilope und bricht
zusammen. Ramos kriecht zu ihm hinüber, um ihm zu helfen, aber eine Gesichtshälfte des
Mannes ist weggeschossen, da ist nichts mehr zu machen. Ramos nimmt ihm die
Munition ab und rollt sich zur Seite, während Schüsse hinter ihm in den Boden
einschlagen.
Das Feuer kommt vom Dach eines Flachbaus, Ramos rollt sich
weiter, schaltet dabei auf Dauerfeuer um, richtet sich kurz auf und schickt
eine Salve quer über das Dach, bekommt im selben Moment zwei harte Schläge
gegen die Brust - seine Schussweste hat ihn mal wieder gerettet -, er zieht
eine Handgranate vom Gürtel ab und wirft sie aufs Dach.
Ein dumpfer Knall, ein Blitz und zwei Gestalten, die hochgeschleudert
werden, dann hört das Feuer dort auf.
Aber nicht die Schüsse aus dem Haus.
Verräterische rote Mündungsblitze aus Fenstern, Türöffnungen, Dachluken. Ramos behält die
Türen im Auge, offensichtlich haben sich mehrere Wachmänner im Haus verschanzt,
die hinauswollen, um von der Flanke anzugreifen. Einer feuert aus der Tür und
läuft los, doch zwei Schüsse von Ramos treffen ihn in den Bauch, er taumelt, stürzt und
fängt an zu brüllen. Ein weiterer kommt nach und will ihn ins Haus
zurückziehen, wird aber ebenfalls mehrfach getroffen und bleibt
zusammengekrümmt zu Füßen seines Kumpanen liegen.
»Zerschießt die Autos!«, brüllt Ramos.
Die stehen überall - Landrover, die bei den Narcos so beliebten
Suburbans, auch ein paar Mercedes-Limousinen. Ramos will verhindern, dass die
Barreras flüchten, und nach einem kurzen, aber dichten Kugelhagel sind die
Autos lahmgelegt. Platte Reifen, zersplittertes Glas, ein explodierter
Benzintank, mehrere Autos gehen in Flammen auf.
Dann bricht die Hölle los.
Jemand hat sich eine besonders raffinierte Ablenkungstaktik einfallen
lassen und sämtliche Käfige geöffnet - nun wimmelt es von Tieren, die wild
durcheinanderrennen, in Panik versetzt durch den Lärm, das Feuer und die
Schießerei. Ramos blinzelt ungläubig, als ihm eine Giraffe in die Schusslinie läuft, dann
zwei Zebras, während Antilopen hakenschlagend mit hohen Sprüngen quer über den
Hof jagen. Ramos muss an die Löwen denken - eine äußerst dumme Art zu sterben,
sagt er sich und will zum Haus, muss aber sofort den Kopf einziehen, weil ein
großer Raubvogel über ihn hinwegstreicht. Just in dem Moment gehen die Narcos zum Angriff
über, kommen aus dem Haus und schießen wild um sich.
Huschende Gestalten im silbrigen Mondlicht, Mensch und Tier kaum zu
unterscheiden, Männer, die rennen, schießen, stürzen, Deckung suchen. Alles ein
wüster Traum, könnte man denken, aber die Kugeln sind echt und auch das
Sterben, Ramos schießt um sich, muss sich an einem Wildesel vorbeidrücken, der ihm im Weg
steht und schreit. Ein Narco kommt von rechts, ein anderer von links, nein, das
ist einer von seinen Leuten. Kugeln schwirren, Mündungsfeuer blitzen, Menschen
und Tiere brüllen durcheinander. Zwei Schüsse, und er hat den Narco außer Gefecht
gesetzt, dann erkennt er - oder glaubt zu erkennen - die lange Gestalt von Raúl, der aus der
Hüfte schießend vorüberrennt und schon verschwunden ist, bevor Ramos ihn
Weitere Kostenlose Bücher