Winslow, Don
mein letzter, Brüder.«
Adán nimmt die
anderen Gäste in Augenschein: Jaime
Herrera, Rafael Caro, Chapo Montana - allesamt Gomeros aus Sinaloa, alles Leute auf
der Flucht jetzt. Verloren geglaubte und vom Wind abgetriebene Schiffe, die Tío in seinen
sicheren Hafen geleitet hat.
Schon dass Tío dieses Treffen einberufen hat, rechtfertigt seinen Führungsanspruch. Er
hat sie alle um den Tisch versammelt, der sich unter Garnelenkübeln biegt, unter
Platten mit dünn geschnittenem Fleisch und Kästen mit eiskaltem Bier, das man
in Sinaloa dem Wein vorzieht.
Im Nachbarraum spielen sich schon die Musikanten warm, gleich werden sie
in ihren bandas die Heldentaten berühmter Drogenschmuggler preisen, von denen einige am
Tisch sitzen. Im Separee weiter hinten wartet ein Dutzend erstklassiger Callgirls,
die eigens aus Haley Saxons Etablissement in San Diego herangekarrt wurden.
»Das Blut, das vergossen wurde, ist getrocknet«, beginnt Tío seinen Toast.
»Nun ist es an der Zeit, allen Groll zu vergessen, den bitteren Geschmack der
Vergeltung herunterzuspülen. All das ist Vergangenheit, wie das Wasser, das
gestern den Fluss hinunterfloss.«
Er nimmt einen Schluck Bier, spuckt es auf den Fußboden und wartet, ob sich
Widerspruch regt. Niemand widerspricht.
»Vorbei ist auch das Leben, das wir kannten. Untergegangen in Flammen und
Gift. Das Leben, das wir kannten, ist zum flüchtigen Traum geworden, verweht
wie der Rauch im Wind. Wir würden den Traum ja gern zurückrufen und
weiterschlafen, aber dann leben wir nicht im Leben, sondern im Traum.
Die Amerikaner wollten uns Sinaloaner vertreiben, unsere Felder verbrennen
und uns in alle Winde zerstreuen. Doch Feuer schafft auch Platz für neues
Wachstum. Der Wind, der zerstört, trägt die Saat auf neuen Grund. Ich sage
euch: Wenn sie uns in alle Winde zerstreuen wollen, dann sei es so. Wir werden
uns ausbreiten wie die Samen der Bärentraube, die auf jedem Boden gedeiht. Ich
sage euch: Wir werden uns ausbreiten wie die Finger einer Hand. Ich sage euch,
wenn sie uns unser Sinaloa nehmen, dann nehmen wir das ganze Land.
Es gibt drei entscheidende Regionen für unsere Transportwege. Erstens das
Gebiet von Sonora, das an Texas und Arizona grenzt, zweitens die Golfregion gegenüber Texas,
Louisiana und Florida und drittens die Baja California mit ihrer direkten Anbindung an San
Diego, Los Angeles, den ganzen Westen. Ábrego möchte ich bitten, die Golfregion als sein Gebiet
zu übernehmen, mitsamt den Märkten von Houston, New Orleans, Tampa und Miami.
El Verde, dich bitte ich, Sonora zu übernehmen, einschließlich der Märkte New
Mexico, Arizona und dem westlichen Texas mit Juárez als
Ausgangsbasis.«
Vergeblich versucht Adán, in den Gesichtern der Angesprochenen zu lesen. Die
Golfregion ist vielversprechend, aber auch schwierig, weil die Amerikaner
gegenwärtig ihre Kräfte aus Mexiko abziehen und auf die östliche Karibik
konzentrieren. Doch Ábrego kann Millionen verdienen - nein, Milliarden -, wenn er nur genügend
Nachschub bekommt.
Adán studiert el
Verdes undurchdringliches Bauerngesicht. Die Region Sonora dürfte
ebenfalls sehr lukrativ sein. El Verde müsste in der Lage sein, tonnenweise
Drogen nach Phoenix, El Paso und Dallas zu befördern und von dort weiter nach
Chicago, Minneapolis und insbesondere Detroit.
Aber alle warten auf den nächsten Paukenschlag, und Adán achtet genau
auf ihre Gesichter, als ihnen dämmert, dass sich Tío das Sahnestück
sichern wird.
Baja California.
Tijuana ist das Einfallstor für die riesigen Märkte von San Diego, Los
Angeles, San Francisco, San Jose, über die auch die Nachschublinien zu den noch
größeren Märkten im Nordosten der Vereinigten Staaten verlaufen - nach
Philadelphia, Boston und dem absoluten Kronjuwel: New York City.
Der Golf ist also das eine Gebiet, Sonora ist das andere Gebiet, aber Baja ist das Gebiet schlechthin.
Niemand ist also besonders gespannt, als Barrera anhebt: »Und ich, ich
schlage vor ... nach Guadalajara zu gehen.«
Jetzt sind sie alle baff.
Einschließlich Adán, der einfach nicht glauben kann, dass Tío auf die
fetteste Pfründe der ganzen westlichen Welt verzichten will. Wenn dieses Gebiet
nicht an die Familie geht, wer soll es dann -
»Und ich bitte Gúero Mendez«, fährt Barrera jetzt fort, »das Gebiet Baja California zu
übernehmen.«
Adán sieht das
Grinsen, das sich auf Gúeros Gesicht ausbreitet, und ihm geht ein Licht auf. Jetzt begreift er, warum Gúero bei
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