Winslow, Don
mexikanische Rohopium ist
wieder gefragt, die Mohnkapseln weinen wieder, diesmal vor Freude. Die Gomeros sind wieder an
der Arbeit, und ich bin der patrón.
Sein Leben verläuft in ruhigen Bahnen. Er steht früh auf und trinkt einen café con leche, den ihm die
alte Haushälterin bringt, dann setzt er sich an den Computer, um seine Finanzen
zu verwalten, das Geschäft zu beaufsichtigen, Anweisungen zu geben. Zu Mittag
bekommt er eine kalte Fleischplatte mit Obst, und nach einer kurzen Siesta
macht er einen Spaziergang auf dem alten Feldweg, der an seinem Haus
vorbeiführt.
Manuel geht mit ihm, stets auf der Hut, als wäre Adán noch immer in
Gefahr. Natürlich ist er froh, wieder in Sinaloa zu leben, bei seiner Familie
und seinen Freunden, trotzdem besteht er darauf, in seiner kleinen casita hinter dem
Haupthaus zu wohnen.
Nach dem Spaziergang kehrt Adán an den Computer zurück und arbeitet bis zum
Abendessen. Er genehmigt sich ein oder zwei Bier und schaut Fußball oder Boxen
im Fernsehen. An manchen Abenden sitzt er auch draußen auf dem Rasen und
lauscht den Gitarrenklängen, die von der Ortschaft zu ihm herüberwehen. Wenn
es sehr still ist, versteht er sogar die Gesänge - sie handeln vom Verrat von el Tiburón, von Rauls Heldentaten und vom listigen Adán Barrera, der den Federales und den Yankees ein
Schnippchen geschlagen hat, den sie niemals fangen werden.
Er geht früh zu Bett.
Es ist ein ruhiges Leben, ein gutes Leben, und es könnte ein glückliches
Leben sein, wenn die Gespenster nicht wären.
Das Gespenst von Raúl.
Das Gespenst von Nora.
Das Gespenst seiner weit entfernten Familie.
Mit Gloria verständigt er sich per Internet. Das ist die einzige sichere
Methode, aber es schmerzt, dass sich seine Tochter für ihn zu ein paar Pixeln
auf dem Bildschirm reduziert. Sie chatten fast jeden Abend, und sie schickt ihm
ihre Fotos. Aber er kann sie nicht sehen, kann sie nicht hören
- auch daran ist Keller schuld.
Und wenn
er ehrlich ist, verfolgen ihn noch mehr Gespenster.
Sie
kommen, wenn er sich hinlegt und die Augen schließt.
Er sieht
die Gesichter von Gúeros Kindern,
sieht ihre Körper auf den Felsen aufschlagen. Hört ihre Stimmen im Wind. Und
keiner, denkt er, singt darüber Lieder. Keiner fasst dieses Geschehen in
Musik.
Auch über
El Sauzal gibt es keine Lieder, aber die
Gespenster kommen trotzdem.
Und Padre
Juan.
Er kommt
am häufigsten.
Mit
sanftem, mahnendem Blick. Ich kann nichts dagegen tun, sagt sich Adán. Ich muss mich auf das konzentrieren, was ich tun kann.
Was ich
tun muss.
Art Keller
erledigen.
Er ist
mitten im Planen und Organisieren, als seine Welt zusammenbricht. Er will nur
nachschauen, ob eine E-Mail von Gloria gekommen ist. Aber die E-Mail kommt von
seiner Frau, und wenn eine E-Mail schreien kann, dann diese.
Adán - Gloria hatte
einen Schlaganfall. Sie liegt im Sripps Mercy Hospital.
Mein Gott,
was ist passiert?
Ungewöhnlich,
aber keineswegs ausgeschlossen bei ihrem Zustand. Der Druck auf die
Halsschlagader war einfach zu groß geworden. Als Lucia in ihr Zimmer kam, fand
sie Gloria bewusstlos. Die Sanitäter konnten nichts ausrichten, und jetzt liegt
sie auf der Intensivstation, sie wird untersucht, aber die Prognose ist
niederschmetternd.
Wenn kein
Wunder geschieht, muss Lucia bald eine schwierige Entscheidung treffen. Nein, das lasse ich nicht zu.
Adán -
Tu's nicht.
Es gibt keine Hoffnung. Selbst wenn sie es schafft, wäre sie –
Sag's nicht.
Du bist ja nicht hier. Ich habe mit meinem Pfarrer
geredet. Er sagt, es ist moralisch vertretbar. Was dein Pfarrer sagt, ist mir
egal. Adán -
Ich komme
heute. Abend. Spätestens morgen früh. Sie wird dich nicht erkennen, Adán. Sie merkt nicht, ob du da bist oder nicht. Aber ich.
Na gut. Ich warte auf dich. Wir entscheiden gemeinsam.
Zwölf Stunden später sitzt Adán in seinem Penthouse am Grenzübergang von San Ysidro. Er verfolgt das
Geschehen mit dem Nachtsichtgerät und wartet darauf, dass der bestochene mexikanische
Grenzbeamte zeitgleich mit seinem bestochenen amerikanischen Kollegen den
Dienst antritt.
Gegen zweiundzwanzig Uhr müsste
das passieren, und wenn nicht, wird er den Übergang trotzdem wagen.
Er hofft einfach, dass es klappt.
Trotzdem geht er kein unnötiges
Risiko ein; er muss zu Gloria ins Krankenhaus, also wartet er auf den Schichtwechsel
am Grenzübergang, bis das Handy klingelt. Eine Zahl erscheint auf dem Display.
Die Sieben. Es kann losgehen.
Zwei Minuten später steht er
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