Winslow, Don
unten
im Parkhaus vor einem Lincoln Navigator, der am Vormittag in Rosarita gestohlen
und mit neuen Nummernschildern versehen wurde. Der nervöse Fahrer hält ihm die
hintere Tür auf. Der kann nicht älter als dreiundzwanzig sein, denkt Adán. Er sieht seinen Angstschweiß und seine zitternden Hände und fragt
sich, ob der Mann nur nervös ist oder ob er etwas im Schilde führt.
Vorsichtshalber sagt er: »Du weißt, wenn du mich reinlegst, stirbt deine ganze
Familie.«
»Ja.«
Adán steigt
ein, während ein anderer Mann, wahrscheinlich der Bruder des Fahrers, das
Rücksitzpolster hochklappt und einen Hohlraum freilegt. Adán kriecht hinein, stülpt das Atem gerät über Nase und Mund und
testet seine Atmung, während das Polster wieder befestigt wird. Er liegt im
Dunkeln und hört das Jaulen des elektrischen Schraubenziehers.
Jetzt ist er eingesperrt.
Das Ganze erinnert zu sehr an
einen Sarg.
Er unterdrückt eine Aufwallung von
Panik und zwingt sich, langsam und gleichmäßig zu atmen. Du darfst nicht
hyperventilieren, schärft er sich ein, sonst reicht die Luft nicht. Laut Radioansage
beträgt die Wartezeit an der Grenze gegenwärtig fünfundvierzig Minuten, aber
die Wartezeit kann sich auch hinziehen, und dann müssen sie noch ein paar
Minuten fahren, bis zu einer einsamen Gegend, wo sie ihn befreien.
Wenn alles gutgeht.
Wenn das keine Falle ist.
Um sich eine riesige Belohnung zu
holen, sagt er sich, müssen sie nur zum nächsten Polizeirevier fahren. Guckt
mal, wen wir hier haben. Oder schlimmer noch, sie handeln im Auftrag eines
seiner vielen Feinde, dann müssen sie nur in einen einsamen Canyon fahren und
das Auto einfach stehen lassen. Bis du erstickst oder in der Hitze gegart
wirst wie ein Backhühnchen. Oder sie schieben einen Lappen in die Tanköffnung,
zünden ihn an und...
Hör auf mit diesen Phantasien,
ermahnt er sich.
Beruhige dich lieber damit, dass
die Vorbereitungszeit für einen Anschlag viel zu kurz war, dass dich die
Grenzer einfach durchwinken werden, dass du in drei Stunden bei Gloria bist und
ihre Hand hältst.
Und vielleicht macht sie dann die
Augen auf. Vielleicht geschieht ein Wunder.
Also atmet er ganz ruhig und
gleichmäßig und fasst sich in Geduld.
In einem Sarg dauert jede Minute
eine Ewigkeit.
Er hat genug Zeit zum Nachdenken.
Über seine sterbende Tochter.
Über Kinder, die von der Brücke
stürzen.
Über die Hölle.
Jede Menge Zeit.
Dann hört er Gesprächsfetzen - der
Grenzbeamte stellt Fragen. Wie lange waren Sie in Mexiko? Was war Ihr
Reisegrund? Haben Sie etwas dabei? Darf ich mal hinten hineinschauen?
Adán hört die
Wagentür klappen.
Das Auto fährt wieder.
Er merkt es am leichten Rütteln.
Vielleicht ist es Einbildung, aber die Luft in diesem engen Sarg kommt ihm
kühler vor, während das Auto an Fahrt gewinnt.
Dann bremst es ab, und es folgt
ein kräftiges Holpern, bevor es zum Stillstand kommt. Adán umklammert den Pistolengriff und wartet. Wenn das eine Falle ist,
kommt jetzt der entscheidende Moment: Der Deckel geht auf, und die Gewehrläufe
richten sich auf ihn.
Oder, denkt er schaudernd, sie
lassen ihn einfach liegen.
Oder zünden ein Streichholz an.
Dann hört er wieder den Schraubenzieher,
der Sitz wird hochgeklappt, seine Fahrer strahlen ihn an. Adán reißt sich die Atemmaske herunter und streckt ihnen die Hand
entgegen, um sich heraushelfen zu lassen.
Mit steifen Gliedern steht er am
Rand des staubigen Weges und sieht den weißen Lexus, der ein paar Schritte
weiter wartet. Wieder so ein grinsender Typ voller Tattoos, der ihm ein Schlüsselbund
überreichen will.
»Du startest den Wagen«, sagt Adán.
Du fliegst in
die Luft, wenn die Bombe hochgeht.
Der Kerl wird bleich, aber er
nickt, steigt ein und startet den Motor.
Als der leise vor sich hin
schnurrt, steigt der Tätowierte aus - kichernd vor Erleichterung.
Adán setzt sich
ans Steuer. »Wo sind wir hier?«, fragt er.
Sie erklären ihm, wie er zum
Freeway kommt, und fünfzig Minuten später fährt er auf den Parkplatz des
Krankenhauses.
Adán überquert
den Parkplatz und stellt sich vor, dass er aus Dutzenden Augen beobachtet wird.
Aber keiner steigt aus, keine
Männer mit blauen DEA-Anoraks rennen auf ihn zu. Das ist ein ganz gewöhnlicher,
eher ein wenig zu ruhiger Krankenhausparkplatz. Er geht zum Empfang und
erfährt, dass seine Tochter in der achten Etage liegt.
Die Fahrstuhltür öffnet sich.
Lucia sitzt auf einer Bank im Flur, gebeugt, in Tränen
aufgelöst. Er
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