Winslow, Don
wie ihre Mutter aus. Der dreijährige Michael kommt ebenfalls nach
seiner Mutter, hat aber Kellers kräftige Statur. Althea findet es ganz
aufregend, dass beide Kinder dank dem mexikanischen Hauspersonal auf dem besten
Wege sind, zweisprachig aufzuwachsen. Michael verlangt nicht mehr nach Brot,
sondern nach pan, Wasser ist für
ihn zu agua geworden.
Keller gibt seinen Kindern einen behutsamen Kuss und geht zurück durch den
langen Flur, durchs Schlafzimmer ins angrenzende Bad, wo er lange und
ausführlich duscht.
Althea hatte seine YOYO-Regel schon ins Wanken gebracht, doch die Kinder
machten ihr endgültig den Garaus. Als er seine neugeborene Tochter sah, wusste
er, dass sein »You are on your own« in tausend Stücke zerschellt war, und als sein Sohn kam, eine kleine Kopie
seiner selbst, war es nicht besser, nur anders. Und er hatte eine Erleuchtung:
Gegen einen schlechten Vater hilft nur, ein guter Vater zu werden.
Und das ist er wirklich. Ein liebevoller Vater für seine Kinder, ein
treusorgender Gatte für seine Frau. Die Wut und Erbitterung seiner Jugend ist
weitgehend verblasst, nur eine Rechnung ist offengeblieben - die mit Tío Barrera.
Weil Tío mich benutzt hat, damals während der Operation Condor. Er hat mich dazu
benutzt, seine Rivalen auszuschalten und seine Federación aufzubauen. Hat
mich glauben lassen, ich zerstöre ein Drogennetzwerk, während ich ihm geholfen
habe, ein größeres und besseres zu errichten.
Vergiss das nicht, sagt er sich unter der heißen Dusche, die auf seine
müden Schultern niederprasselt. Das ist der Grund, weshalb du hier bist.
Sein Wunsch, ins ferne Guadalajara versetzt zu werden, hatte sehr seltsam
angemutet für einen wie ihn, für den Helden der Operation Condor. Dass er Don
Pedro das Handwerk gelegt hatte, war seiner Karriere sehr dienlich gewesen.
Von Sinaloa wurde er nach Washington versetzt, von dort nach Miami, von dort
nach San Diego. Art Keller, der Wunderknabe, war drauf und dran, mit
dreiunddreißig Jahren der jüngste RAC oder Regionalchef der DEA zu werden. Und
seinen Einsatzort durfte er sich aussuchen.
Alle waren verblüfft, als er sich Guadalajara aussuchte.
Und seine Karriere gegen den Baum fuhr.
Kollegen, Freunde, Rivalen fragten ihn nach dem Grund.
Doch Keller verriet ihn nicht.
Nicht mal sich selbst gegenüber ist er ganz ehrlich.
Dass er nur dort ist, um eine alte Rechnung zu begleichen.
Und vielleicht sollte ich's dabei belassen, denkt er, als er aus der
Dusche kommt, nach dem Handtuch greift und sich abrubbelt.
Es wäre so einfach, sich zurückzulehnen und Dienst nach Vorschrift zu
machen. Die kleinen Marihuana-Dealer zu schnappen, die ihm die Mexikaner als
Beute zuteilen. Brav Berichte abzuliefern über die fruchtbare Zusammenarbeit
mit den mexikanischen Drogenbehörden. (Was ein guter Witz wäre, denn die
US-finanzierten Flugzeuge mit den Entlaubungsmitteln versprühen meist nur
Wasser - und päppeln die Mohn- und Hanffelder hoch, statt sie zu vernichten.)
Keine Ermittlungen zu M-i, keine Erkenntnisse über Miguel Angel Barrera.
Lass die Vergangenheit ruhen, sagt er sich.
Die Schlange küssen, das muss nicht sein.
Doch, es muss sein.
Seit neun Jahren verfolgen ihn die Bilder und Erinnerungen. All die
Zerstörung, all das Leid, all die Toten im Gefolge von Operation Condor, und
das nur, damit Tío seine Federación aufbauen und sich selbst zu ihrem Kopf machen konnte.
Das Gesetz der paradoxen Wirkungen? Unsinn! Diese Wirkungen waren
beabsichtigt, Tío hatte sie genau geplant.
Er hat dich benutzt, hat dich wie
einen Hund auf seine Feinde gehetzt, und du bist auf ihn reingefallen.
Hast danach fein den Mund gehalten.
Während sie dir auf die Schulter schlugen, dich als Held feierten, dich
endlich als ihresgleichen anerkannten. Du verlogener Hundesohn. Das war es doch
nur, was du wolltest. Du wolltest endlich dazugehören.
Und hast deine Seele dafür verkauft.
Jetzt denkst du, du kannst sie zurückkaufen.
Lass sie sausen, du hast eine Familie, die dich braucht.
Er schlüpft ins Bett, ganz vorsichtig, damit Althea nicht aufwacht, aber
sie wacht trotzdem auf.
»Wie spät?«, fragt sie.
»Fast vier.«
»Vier Uhr morgens?«
»Schlaf weiter.«
»Wann musst du aufstehen?«, fragt sie. »Um sieben.«
»Dann weck mich. Ich muss in die Bibliothek.«
Sie hat einen Leseausweis für die Universitätsbibliothek, wo sie an ihrer
Habilschrift arbeitet: »Die landwirtschaftlichen Arbeitskräfte im
vorrevolutionären Mexiko. Ein
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