Winslow, Don
die Gangschaltung, der Jeep macht einen Sprung vorwärts und fährt
weiter. Jetzt fängt Keller an zu zittern. Seine Beine zucken unkontrolliert,
er kann das nicht stoppen, und er kann nicht verhindern, dass ihm die Bilder
von Ernies geschundenem Leib vor Augen treten. Er kann nicht verhindern, dass
er denken muss: Tut mir nicht an, was ihr ihm angetan habt, oder, in logischer
Konsequenz: Foltert lieber ihn als mich.
Er schämt sich, kommt sich vor wie ein Schuft. Wenn es hart auf hart
kommt, wenn das Schrecklichste bevorsteht, möchte er, dass sie es lieber einem
anderen antun als ihm. Er könnte nicht für Ernie einstehen, selbst wenn er
wollte.
Er versucht, sich an das Bußgebet zu erinnern, das ihm die Nonnen in der
Grundschule eingetrichtert haben - wenn du ohne geistlichen Beistand sterben
musst, kannst du trotzdem in den Himmel kommen, wenn du ganz aufrichtig das
Bußgebet sprichst. Daran erinnert er sich, aber nicht an das verdammte Bußgebet
selbst.
Der Jeep hält, der Motor tuckert im Leerlauf.
Hände packen Keller bei den Armen, er wird aus dem Jeep gehoben. Er spürt
Laub unter den Füßen, stolpert über eine Ranke, aber die Arme halten ihn fest.
Er begreift, dass sie ihn in den Dschungel führen. Dann drücken ihn die Arme
nach unten, in die Knie. Viel Kraft ist dafür nicht nötig - seine Knie fühlen
sich an wie Butter.
»Kapuze ab.«
Keller kennt den knappen Befehlston. Das ist die Stimme von John Hobbs,
Regionalchef der CIA.
Sie befinden sich in einer Art Militärbasis, einem Trainingscamp, wie es
aussieht, mitten im Dschungel. Rechts quälen sich Rekruten in Tarnanzügen über
die Hindernisbahn - mehr schlecht als recht. Links sieht er ein schmales
Rollfeld, wie aus dem Dschungel herausgeschnitten. Und direkt vor sich das
schmale, markante Gesicht von lohn Hobbs, sein dichtes weißes Haar, die
hellblauen Augen, das verächtliche Lächeln. »Handfesseln auch.«
Keller spürt, wie frisches Blut durch seine Handgelenke strömt. Dann das
schmerzhafte Prickeln in den Fingern. Mit einer Handbewegung fordert ihn Hobbs
auf, ihm zu folgen. Sie betreten ein Zelt mit ein paar Klappstühlen, Tisch und
Pritsche.
»Setzen Sie sich, Arthur.«
»Ich stehe lieber noch eine Weile.«
Hobbs zuckt die Schultern. »Arthur, Sie sollten bedenken, dass wir Sie
längst aufgegeben hätten, wenn Sie nicht zur >Familie< gehören würden.
Also, was soll dieser Unsinn mit dem Schließfach?«
Jetzt weiß Keller, dass es geklappt hat, dass sein letztes Stoßgebet ins
Schwarze getroffen hat. Wäre der Drogenumschlagplatz in Hangar 4 nur das Werk von Abtrünnigen, hätten sie ihn gleich auf der Straße
liquidiert. Keller wiederholt seine Drohung.
Hobbs starrt ihn bohrend an. »Was wissen Sie über Red Cloud?«, fragt er.
Was zum Teufel ist Red Cloud?, fragt sich Keller.
»Ich weiß nur über Kerberos Bescheid«, sagt er. »Und was ich weiß, reicht
aus, um Sie lebenslang hinter Gitter zu bringen.«
»Ich stimme mit Ihrer Analyse überein«, sagt Hobbs. »Wie stehen wir also
zueinander?«
»Wie zwei, die sich gegenseitig an der Gurgel haben«, sagt Keller. »Wir
können beide nicht loslassen.«
»Gehen wir ein Stück.«
Sie laufen durchs Camp, vorbei an der Hindernisbahn, dem Schießstand, den
Dschungellichtungen, wo Rekruten mit ihren Ausbildern Nahkampftaktik üben.
»Das gesamte Trainingscamp«, sagt Hobbs, »hat Miguel Angel Barrera
finanziert.«
»Donnerwetter.«
»Barrera weiß, worum es geht.«
»Und worum geht es?«
Hobbs führt ihn einen schmalen Pfad hinauf zu einer Hügelkuppe und zeigt
auf die endlose Dschungellandschaft, die sich unter ihnen erstreckt.
»Was sehen Sie hier?«, fragt Hobbs.
Keller zuckt die Schultern. »Regenwald.«
»Was ich hier sehe«,
sagt Hobbs, »ist die Kamelnase. Sie kennen doch das alte arabische Sprichwort:
Wenn das Kamel die Nase ins Zelt steckt, ist es schon drin. Das da unten ist
Nicaragua, die kommunistische Kamelnase im mittelamerikanischen Zelt. Nicht auf
einer Insel wie Kuba, die wir mit der Navy isolieren können, sondern auf dem
amerikanischen Festland. Sind Sie geographisch bewandert?«
»Geht so.«
»Dann werden Sie wissen, dass die nicaraguanische Südgrenze, an der wir
uns hier befinden, nur ein paar hundert Meilen vom Panama-Kanal entfernt ist.
Im Norden grenzt Nicaragua an das labile Honduras und an das noch labilere El
Salvador, und beide Länder kämpfen gegen kommunistische Aufstände. Ebenso
Guatemala. Guatemala wäre der nächste Dominostein.
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