Winslow, Don
sanfte Brise ist erfüllt vom Duft der Jacaranden - wie in Guadalajara,
sagt sich Keller. Überm Mauerrand sieht er die Baumwipfel, die purpurroten
Blätter schimmern silbern im Mondlicht. Von ferne hört er das leise Rauschen
der Brandung.
Die reinste Liebesidylle, denkt er.
Ein parfümierter Garten.
Das Paradies.
Hoffen wir, dass er diesmal für immer aus dem Paradies vertrieben wird,
denkt Keller. Hoffen wir, dass er jäh aus seinen seligen Träumen gerissen
wird. Keller malt sich aus, dass Tío mit nacktem Hintern in den bereitstehenden
Transporter verschleppt wird, obwohl das eine sehr vulgäre Phantasie ist. Aber
je mehr Demütigung, desto besser.
Er hört Schritte nahen, ein Wachmann leuchtet die Mauer mit der
Taschenlampe ab. Keller verharrt still, dicht an die Mauer gepresst.
Der Lichtkegel trifft ihn genau in die Augen.
Der Wachmann greift nach der Pistole, doch schon zieht sich eine
Stoffschlinge um seinen Hals. Ramos hebt ihn an der Schlinge hoch, bis seine Augen und
seine Zunge herausquellen, und lässt ihn bewusstlos zu Boden sinken.
»Der wird wieder«, sagt Ramos.
Keller ist erleichtert. Ein toter Zivilist würde den heiklen Deal mit den
Salvadorianern sofort zunichte machen.
Keller schaut erneut auf die Uhr, es wird gerade fünf. Und das
Einsatzkommando muss eine Elitetruppe sein, denn auf die Sekunde genau hört er
den dumpfen Knall, mit dem das Tor aufgesprengt wird.
Ramos wirft ihm einen
Blick zu.
»Deine Waffe.«
»Was?«
»Es ist besser, du nimmst sie in die Hand.«
Keller holt die Pistole aus dem Schulterhalfter und rennt hinter Ramos
her, durch das weggesprengte Tor auf das Grundstück. Vorbei an den
erschrockenen Bediensteten, die schon am Boden liegen, in Schach gehalten von
Mi6-Gewehren. Die Lage des Bungalows hat er in der Aufregung ganz vergessen,
also folgt er Ramos, der mit flinken, aber entspannten Schritten vor ihm herläuft und seine Uzi
in Hüfthöhe schwenkt.
Auf der Mauer hocken Scharfschützen wie große Krähen, die Gewehre aufs
Grundstück gerichtet, bereit, jeden niederzumähen, der zu fliehen versucht.
Plötzlich steht er vor der Haustür des Bungalows. Ramos zerrt ihn
beiseite und drückt ihn zu Boden, während es ein zweites Mal knallt und die
Tür unter Splittern und Krachen aus den Angeln birst.
Ramos feuert ein
halbes Magazin in die klaffende Öffnung.
Und geht hinein.
Keller dicht hinter ihm.
Das Schlafzimmer, überlegt er krampfhaft. Wo war das Schlafzimmer?
Pilar richtet sich
auf und schreit, als sie durch die Tür kommen.
Zieht die Decke über die Brust und schreit weiter.
Tío - und Keller
kann es nicht glauben, es ist absurd - versteckt sich unter der Decke. Er hat
die Decke über den Kopf gezogen wie ein Kind, das auf die Vogel-Strauß-Taktik
baut. Keller reißt die Decke weg, packt ihn beim Nacken und schleudert ihn aufs
Parkett.
Tío ist nicht
nackt, er trägt schwarzseidene Boxershorts, die Kellers Bein streifen, als er
das Knie in Tíos Kreuz stemmt, sein Kinn nach oben reißt, bis ihm fast der Nackenwirbel
bricht, und ihm die Pistole an die rechte Schläfe drückt.
»Tut ihm nichts!« schreit Pilar. »Das hab ich nicht gewollt!«
Tío befreit sein
Kinn aus Kellers Umklammerung, reckt den Kopf und starrt das Mädchen an. Voller
Hass. Und er sagt nur ein einziges Wort: »Chocho.«
Fotze.
Das Mädchen wird bleich vor Entsetzen.
Keller stößt Tío mit dem Gesicht auf den Boden, das Blut aus der gebrochenen Nase spritzt
aufs polierte Parkett.
»Mach schon, wir müssen uns beeilen«, sagt Ramos.
Keller will eine Handfessel vom Gürtel lösen.
»Keine Handfesseln«, sagt Ramos mit unverhohlenem Ärger.
Keller blinzelt verwirrt, dann begreift er. Man erschießt keinen Mann auf
der Flucht, wenn er Handfesseln trägt.
»Willst du's hier machen oder draußen?«, fragt Ramos.
Das erwartet er jetzt von mir, denkt Keller. Dass ich Barrera erschieße.
Er denkt, ich bin nur deshalb mitgekommen, weil ich ihn eigenhändig erschießen
will. Das erwarten jetzt alle von mir, wird ihm klar. Alle DEA-Leute
einschließlich Shag - Shag besonders - erwarten, dass er der alten Regel
gehorcht: Ein Polizistenmörder wird nicht verhaftet, ein Polizistenmörder
stirbt immer auf der Flucht.
Mein Gott. Erwarten die das wirklich von mir?
Tío zumindest tut
es. Mit aufreizend ruhiger Stimme sagt er: »Me maravilla
que todavía estoy vivo.«
Ich wundere mich, dass ich noch lebe.
Wundere dich nicht zu sehr, denkt Keller und entsichert die Pistole.
»Date
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