Winter
Staub machte. Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und versuchte durch das Dickicht der Bäume etwas zu erspähen, doch da war nichts zu sehen.
Die Straße wurde flacher, stieg wieder bergan und verschwand weiter rechts in einer scharfen Kurve. Der Wald schien sich zu lichten und tatsächlich stand ich ein paar Minuten später am Rande einer Feuerschneise, in deren Mitte ein Zaun lief. Die Schneise war relativ breit, gepflegt und ordentlich auf der anderen Seite des Zauns, ziemlich überwachsen und verwildert auf dieser Seite. Ich nahm an, dass das die Grenze meines Grundstücks war. Die Straße verlief nun parallel zur Feuerschneise, bildete einen ihrer Ränder und stieg dann rechter Hand einen steilen Hang hinauf.
Seit ein paar Minuten war mir, wenn auch nur unbewusst, ein Summen aufgefallen, das jetzt auf der Lichtung auf einmal laut und deutlich wurde. Das Geräusch kam von weiter rechts, und als ich mich umdrehte, staunte ich nicht schlecht, als ich mehrere Hektar gerodeten Bodens erblickte, auf dem frisch gefällte und rohe Baumstümpfe durch das auf der Erde liegende Laubwerk ragten.
Mitten drin parkte ein großer Sattelschlepper, der bereits zur Hälfte mit Baumstämmen beladen war. Zwei Typen waren mit Kettensägen zugange und einer von ihnen sah aus wie Ralph.
Ich ging zu ihnen hinüber, bahnte mir vorsichtig einen Weg über die am Boden liegenden, aus Baumresten bestehenden Trümmerhaufen und an einem Gabelstapler vorbei. Auf so einem Gelände konnte man sich leicht beide Knöchel brechen. Im Vergleich zu dem stillen Wald, den ich eben noch genossen hatte, sah es hier auf einmal aus wie auf einem Schlachtfeld.
Die beiden Typen hatten mich weder gesehen noch gehört. Wie ich mir gedacht hatte, war der Erste, den ich erreichte, Ralph. Er bemerkte mich erst, als ich nur noch wenige Schritte von ihm entfernt war.
Dabei hatte er noch Glück, dass er sich nicht das Bein absägte, so sehr erschrak er. Die Kettensäge schoss erst nach oben, dann wieder herunter und er musste zur Seite springen, um dem kreischenden Blatt auszuweichen.
»Himmelherrgott!« Er setzte die Säge ab, schaltete sie aus und nahm seine Ohrenschützer ab. »Entschuldige«, sagte er mit einem erschrockenen Ausdruck in seinem blassen Gesicht. »Ich hab dich nicht bemerkt. Mann, hast du mir einen Schreck eingejagt.«
»Was tut ihr da?«
»Was wir tun? Oh, nichts Besonderes. Wir, äh, du weißt
schon… wir vergrößern die Schneise.«
Der andere Typ hatte mich inzwischen auch gesehen, er schaltete seine Säge ab und kam herüber. Ich kannte ihn nicht.
»Wer bist du?«, wollte er wissen. Noch dazu ziemlich aggressiv.
Ralph bemühte sich freundlich zu sein. »Das ist Winter«, erklärte er. »Winter De Salis. Sie ist die Erbin des Grundstücks, mit achtzehn gehört hier alles ihr. Sie ist eine Zeit lang zu Besuch und sieht sich ein wenig um.«
»Ach so«, erwiderte der Mann. Eigentlich war es mehr ein Grunzen. Besonders beeindruckt schien er nicht. Er wirkte nicht wie einer, der sich leicht beeindrucken ließ. Offenbar war Ralph aber ganz erpicht darauf, Eindruck auf ihn zu machen.
»Ich hab ihr gerade gesagt«, fuhr Ralph soeben fort, »dass wir die Schneise vergrößern. Aus Sicherheitsgründen. Man weiß ja, wie gefährlich diese Buschbrände sind. Keine halbe Stunde und alles ist weg.«
»Ja, das stimmt«, sagte der andere. »Echte Plage, diese Buschbrände.«
Die beiden standen ziemlich betreten da und es war nicht zu übersehen, wie nervös sie waren.
»Wo willst du denn hin?«, wollte Ralph wissen.
»Nirgends. Bloß zum Aussichtspunkt.«
»Ach so. Da bist du aber ganz schön vom Weg abgekommen. Du hättest an der Gabelung nach links gehen müssen. Soll ich’s dir zeigen?«
»Ja, bitte.«
»Da die Straße rauf… an der Ecke vom Zaun biegt sie nach rechts ab. Nach anderthalb Kilometer musst du dich links halten und dann siehst du rechts den Aussichtspunkt.«
»In Ordnung. Bis später.«
»Ja, bis dann.«
Als ich über die gefällten Bäume stieg und in Richtung Straße zurückkehrte, hatte ich erneut dieses Gefühl, von hinten beobachtet zu werden. Das Kreischen der Kettensägen war erst zu hören, als ich wieder tief im kühlen Wald war.
Dass sie so nervös und auf der Hut waren, wunderte mich nicht. Sie hatten jeden Grund dazu. Ich mag es nicht, wenn man mich für blöd verkauft, und ich weiß, wann ich angelogen werde – damit hatte ich inzwischen reichlich Erfahrung – und eines war wohl klar: Ralph und sein Kumpel logen
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