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Winter

Winter

Titel: Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Marsden
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solchen Fällen: »Der Name wurde nicht freigegeben.«
    Andererseits hatte Bruce McGill gesagt, dass sie im Distrikt sehr bekannt war. Und ging man von den Souvenirs aus, die ich von meinen Eltern hatte, musste sie in mindestens zwei Bereichen ein Star gewesen sein: Als Scharfschützin hatte sie zweimal den australischen Rekord gebrochen und als Reiterin war sie dreimal Siegerin des Garryowen-Bewerbs der Royal Melbourne Show geworden. Der Garryowen-Preis ist der angesehenste Reiterbewerb in Australien und nach einer Frau benannt, die ums Leben kam, als sie ihr Pferd Garryowen aus dem brennenden Stall retten wollte. Das allein wäre doch eine Erwähnung in der Zeitung wert gewesen, als sie starb.
    Schließlich landete ich im Archiv der Tageszeitung Age aus dem Jahr 1989. Wie es aussah, konnte man aber nur die wichtigsten Nachrichten aus diesem Jahr einsehen. Jedenfalls ergab die Suche nach ihrem Namen keinen Treffer. Vielleicht stand ja auch deshalb nichts in den Schlagzeilen, weil es kein spektakulärer Unfall gewesen war, so was wie ein Flugzeugabsturz zum Beispiel.
    Also beschloss ich, mein Glück doch bei den Todesanzeigen zu versuchen, den kurzen Annoncen der Hinterbliebenen. Ich hatte sie mir bis zuletzt aufgehoben, weil sie fast nie auf die näheren Umstände eingehen. Viele enthalten überhaupt keine Details. Trotzdem öffnete ich die Seite vom 9. Juli.
    Nichts. Nichts. Fast hätte man glauben können, sie hatte nie existiert. Ich starrte fassungslos auf den Bildschirm. Wieso gab es nicht einmal eine Todesanzeige?
    Dann, als ich bereits drauf und dran war, aufzugeben und die Verbindung zu trennen, wurde mir plötzlich klar, wie blöd ich war. Wenn sie am 9. Juli gestorben war, hatte die Todesanzeige gar nicht am 9. Juli erscheinen können. Im besten Fall wäre sie am 10. eher noch am 11. Juli, in der Zeitung gestanden.
    Ich versuchte es mit dem 10. Juli, wieder nichts. Doch dann knackte ich den Jackpot.
Als Erstes fiel mir mein eigener Name auf. Ich nehme an, wenn man den eigenen Namen schwarz auf weiß sieht, sticht er besonders hervor. Aber da stand er – »liebevolle Mutter von Winter«.
Beim Lesen der Anzeige stiegen mir die Tränen in die Augen. Ich vergaß für einen Moment, warum ich im Internet war. In diesem Augenblick zählte nur, dass ich zum zweiten Mal an diesem Tag mit meiner Mutter, mit meinen Eltern Kontakt aufgenommen hatte. Mehr als diese kleinen Anhaltspunkte würde ich nicht bekommen, aber im Vergleich zu der großen Stille, zu dem Vakuum, das mich so viele Jahre gequält hatte, war das sehr viel.
De Salis (geborene Osborne) Phyllis Antonia Rosemary aus ›Warriewood‹ im Distrikt Christie schied am 9. Juli 1989 im Alter von 43 Jahren auf tragische Weise aus dem Leben. Sie war die zärtlich geliebte Ehefrau von Phillip Edward De Salis (verstorben), Tochter von Max und Cecilia Osborne (verstorben), liebevolle Mutter von Winter, Freundin und Schwester von Una und Bruce Robinson sowie von Jeremy und Marcia Osborne und geliebte Nichte von Rita (Mrs Dirk Harrison). Liebste Phyl, mögst du für immer über die grünen Wiesen und Hügel reiten, die du so sehr liebtest.
Es gab noch Dutzende anderer Anzeigen, insgesamt anderthalb Spalten. So viel Zuneigung in so wenigen Worten, dieses so deutliche Zeichen, dass sie niemandem egal war, dass sie wirklich gemocht wurde, all das stimmte mich nur noch trauriger.
Konkretes war jedoch nicht dabei herausgekommen, keine brauchbare Information. Die Ahnung, die mich heim und an den Computer getrieben hatte, dieser sechste Sinn, dass da etwas nicht stimmen konnte und erst geklärt werden musste, bevor ich es verstehen würde, war nicht geringer geworden. Am Ende hatte ich bloß meine Telefonrechnung erhöht und noch mehr unbeantwortete Fragen erhalten. Auf tragische Weise? Was sollte das heißen? Ihr Tod war tragisch. Das wusste ich. Um das zu erfahren, benötigte ich keine Tageszeitung.
10
    Ich ging spazieren, um einen klaren Kopf zu bekommen. Der ganze Tag war eine einzige Verwirrung gewesen, ein Tag voller Komplikationen und starker Gefühle. Was ich jetzt brauchte, war eine emotionale Pause.
    Statt dessen standen mir noch mehr Emotionen bevor. Ich verließ Warriewood und folgte der Straße bis zur ersten Wegkreuzung. Ich schlurfte langsam die staubige Straße entlang und kickte einen Stein vor mich her. An der Kreuzung blieb ich kurz stehen, dann bog ich nach rechts ab.
Ich schätze, es sind belanglose Momente wie dieser, die unser Leben

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